nd-aktuell.de / 05.11.2011 / Kultur / Seite 26

BLOGwoche: Schnauze, Schmidt!

Enno Park

Helmut Schmidt toll finden ist einer der großen gemeinsamen Nenner unserer Zeit. Schmidt ist bis heute der Kanzler der Herzen, politisch gemeuchelt auf dem Höhepunkt seiner Regierungszeit, ausgerechnet von Birne, der Witzfigur der 80er Jahre. Für meine Generation ist er eine Kindheitserinnerung wie »Captain Future« und »Moskau« von »Dschinghis Kahn« - auch heute noch cool, etwas peinlich, aber aus einer Zeit, wo wir noch Gut (Schmidt) und Böse (Kohl) auseinander halten konnten. (...)

Am 6. März 1983 gab es Neuwahlen. Das Datum weiß ich bis heute auswendig. Ich war 9 Jahre alt, durfte bis in die Puppen aufbleiben, lernte viel über Prozente und Sitzverteilung und wartete ungeduldig auf »Otto«, der für den Abend angekündigt war. Das konstruktive Misstrauensvotum gegen Schmidt und die Neuwahlen ein paar Monate später waren das erste, was ich politisch bewusst wahrgenommen habe, auch wenn ich in meiner kindlichen Weltsicht im Verrat der FDP an der guten Sache einen Akt reiner Bosheit sah. Vielen geht es ähnlich und viele verklären die Jahre zu einer goldenen Zeit, in der die Promis in Talkshows nur scheinbar klüger redeten als heute, dafür aber viel und öffentlich rauchten. (...)

Wenn ich verschiedene Texte von und über Helmut Schmidt so lese, bin ich geradezu bestürzt, in wie wenig Punkten ich mit dem einst verehrten Helden meiner politischen Kindheit eigentlich übereinstimme. Die multikulturelle Gesellschaft empfindet er als Illusion und bereitet so den Sarrazins in der SPD ihren Nährboden. Den Klimawandel habe es schon immer gegeben, die Debatte sei hysterisch und all die Wissenschaftler und Klimaforscher haben vermutlich einfach keine Ahnung. Das Verfassungsgericht möge sich künftig doch bitte ein wenig mehr zurückhalten und mit seinen Urteilen dem Kanzler weniger dreinregieren. (...) Und wer Visionen habe, müsse zum Arzt gehen. Gerade der letzte Satz steht für das Ende von Politik und den Anfang der Postdemokratie und ist ein Symbol für die Ursachen heutiger Parteienverdrossenheit.

Der Autor ist Mediengestalter und Softwareentwickler. Er arbeitet als freier Unternehmensberater für Onlinemarketing, Kommunikation und Social Media; zum Weiterlesen: www.ennomane.de/2011/10/26[1]

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  1. http://www.ennomane.de/2011/10/26