nd-aktuell.de / 18.11.2011 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 3

»Wo wir sind, stirbt kein Wal«

Paul Watson ist seit vier Jahrzehnten im Einsatz als Tierschützer

Caroline M. Buck
Der Kanadier Paul Watson, 61 Jahre alt, hat 40 davon im Kampf gegen illegalen Walfang, Schleppnetzfang, Robbenschlachten und andere Tier- und Umweltschutzverletzung auf den Weltmeeren verbracht.

Watsons erster Einsatz als Öko-Aktivist war ein Protest gegen Atomtests. Aus diesem Protest ging Greenpeace hervor, die weltumspannende Über-Mutter aller Öko-Bewegungen. Watson war ein frühes Greenpeace-Mitglied mit einer einstelligen Mitgliedsnummer - aber kein Gründungsmitglied, wie die Greenpeace-Leitung vor drei Jahren betonte. Dass auch auf Watsons Seite keine große Liebe für den Verein besteht, der ihn 1977 wegen eines Hangs zu provokanten Aktionen (und, sagt Watson, der unbedingten Ablehnung großer Firmenspenden) aus dem Vorstand warf, ist nicht zu verkennen. »Greenpeace ist nicht mehr die Organisation, die es damals war. Greenpeace verkauft den Menschen Märchen, damit sie sich besser fühlen. Wir sind da, wo Wale getötet werden, um das Schlachten zu verhindern. Greenpeace schickt Rundmails und sammelt Spenden. Im Südpolarmeer sind ihre Schiffe seit Jahren nicht mehr gesichtet worden.«

Watson, nicht zum Stillsitzen geboren, gründete seinen eigenen Verein, die Sea Shepherd Conservation Society - und steckte damit seinen maritimen Aktionsrahmen ab. Dieser Schäfer der Weltmeere, der als junger Mann bei der kanadischen Küstenwache diente und ein paar Jahre mit der Handelsmarine zur See fuhr, vertritt ein weiterreichendes Verständnis seines Handlungsauftrags als andere Tier- und Umweltschutzorganisationen. »Ein Leben zu nehmen, ist falsch. Ein Leben zu retten, ist richtig. Ein Ökosystem zu zerstören, ist falsch. Ein Ökosystem zu schützen, ist richtig. Der Mensch möchte sich für die Krone der Schöpfung halten und jede seiner Aktionen damit rechtfertigen. Dieses anthropozentrische Weltbild halte ich für falsch. Jedes Leben wiegt gleich schwer. Manche Spezies sind allerdings tatsächlich wichtiger zur Erhaltung unseres Ökosystems als andere: wir brauchen die Würmer, die Würmer brauchen den Menschen - nicht.«

Sein Erweckungserlebnis hatte Watson noch zu Greenpeace-Zeiten. Während einer Aktion gegen sowjetische Walfänger sah er 1975 einem sterbenden Wal in die Augen, den er mit allem lebensgefährlichen Aktionismus nicht hatte retten können - und der warf sich nicht auf das fragile Boot, mit dem die Greenpeace-Leute um den Walfänger kreuzten, sondern änderte die Richtung seines Falls und schlug in sicherer Distanz zu den Aktivisten aufs Wasser auf. Was Watson im Auge des Wals las, begründete seine kritische Haltung gegenüber allen Organisationen, die (wie Greenpeace) um des längerfristigen Erfolgs willen das Sterben von Tieren in Kauf nehmen, um ihren Ruf der Gewaltlosigkeit nicht zu kompromittieren.

Die Natur braucht eine Mutter wie ihn

Watson hingegen zitiert Martin Luther King, der Gewalt als etwas definiere, das sich gegen lebende Wesen richtet. Sea Shepherd aber rammt Schiffe, nicht Menschen. Und Ghandi, der gewaltlosen Protest als die effektivste Methode zur Erreichung politischer Ziele bezeichnete, aber auch sagte, dass er Gewalt wählen würde, wenn die Alternative feiges Zurückweichen wäre. Der Dalai Lama, der zu Watsons Unterstützern gehört, soll ihm gesagt haben, dass ein Buddhist Gewalt ablehne, einem renitenten Verweigerer des rechten Weges aber ruhig mal ordentlich Angst machen dürfe. Eine Lehre, der Watson mit seiner Anwendung einer »gewaltfreien Aggression« getreulich folgt. Eine Harpune zu zerstören, die gegen einen Wal gerichtet wird, ist gewaltfrei. Zeugenschaft allein reicht nicht - auch dies ein Hieb gegen Greenpeace: »Man würde ja auch nicht tatenlos zusehen, wie jemand vergewaltigt wird.«

»Bekenntnisse eines Öko-Terroristen« lautet der Titel des Dokumentarfilms, zu dessen Premiere Watson nach Hamburg kam, und das ist reißerisch, aber nur bedingt treffend. Denn die eigentlichen Öko-Terroristen, sagt Watson, sind die, die aus falschem Nationalstolz oder niederen ökonomischen Interessen internationale Abkommen unterlaufen, ausgehandelte Fangquoten untergraben und illegale Fischfangmethoden anwenden. Just die Leute also, gegen die er seit vier Jahrzehnten unermüdlich im Einsatz ist. Den englischen Untertitel des Films, »Die Natur braucht eine Mutter wie ihn«, hat der Verleih nicht übernommen, obwohl er den Ton des leidenschaftlich parteiischen, aber auch humorvollen Films treffend umreißt. Regisseur Peter Jay Brown, Veteran zahlloser Fernsehsendungen zu Tier- und anderen Themen, hat seinen Helden 30 Jahre lang mit der Kamera auf seinen Kampagnen begleitet.

Wohin es geht mit den vier Schiffen der aktuellen Sea-Shepherd-Flotte (und wann), richtet sich nach dem Kalender der Walfänger und Robbenjäger, der Delphinschlächter und Haifischflossenräuber. Wenn Watson drei Wochen im Jahr in Kanada an Land verbringt, ist das viel. »Eine Kampagne schließt meist unmittelbar an die nächste an. Januar bis Februar waren wir im Südpolarmeer, um Wale zu retten. Im April habe ich es fünf Tage nach Hause geschafft. Im Mai und Juli waren wir im Mittelmeer, um den Fang von Blauflossen-Thunfisch zu verhindern. Im Juli/August vor den Faröern, wieder gegen Walfang. Und im November geht es zurück ins Südpolarmeer.«

Von den Vietnamkriegsprotesten, den Journalisten, die zu den Greenpeace-Gründern gehörten, und einem Studium der Kommunkationswissenschaften, das irgendwie auch noch Platz fand in seinem dichten Zeitplan, lernte Watson etwas über die Macht öffentlicher Bilder und wie man mit den Medien umgeht. Keine Kampagne, bei der nicht Kameras an Bord wären, um die Übergriffe von Walfängern und Robbenschlächtern zu dokumentieren, erfolgreiche Aktionen festzuhalten und die eigene Crew (meist unbezahlte Freiwillige) vor Angriffen zu schützen. Wo sich früher gerade mal acht Minuten Film am Stück belichten ließen, bewältigt eine Digitalkamera heute eine lückenlose Dokumentation auch zeitaufwendiger Aktionen. Außerdem sind die Sea-Shepherd-Schiffe mit dem Web vernetzt, jedes Vorkommnis, jede Sichtung, Rammung, Behinderung ist dort sofort nachzuvollziehen. »Wenn etwas nicht in Film oder Foto festgehalten wird, hat es doch überhaupt nicht stattgefunden. Die Medien legen fest, was real ist und was nicht«, lautet Watsons Fazit aus 40 Jahren Umwelt-Aktionismus. Wenn man selbst im Dienst der guten Sache zum Medienstar werden muss, damit die Beweisfotos von illegalen Walfangaktionen die Öffentlichkeit erreichen, dann muss das eben sein. Weshalb Watsons Silbermähne weltweit Wiedererkennungseffekt hat, während Greenpeace (nur so als Beispiel) von anonymen Bürokraten geleitet wird.

Vier Schiffe auszurüsten, kostet auch Geld

Ex-James-Bond Pierce Brosnan und der Präsidentendarsteller Martin Sheen gehören zu den bekannten Namen unter den Förderern von Shea Shepherd. »Ich sage immer, wir können gar nicht verlieren - mit James Bond, dem Präsidenten und Captain Kirk (William Shatner aus »Raumschiff Enterprise«) auf unserer Seite«, kommentiert Watson grinsend. Auf die Schattenseite seines eigenen Bekanntheitsgrades reagiert er weniger amüsiert. »Wenn der Mitarbeiter einer großen Nachrichtenagentur mich im Gespräch allen Ernstes fragt, wie ich denn die vielen Menschenleben rechtfertigen wolle, die meine Aktionen gekostet hätten, stimmt da etwas mit der öffentlichen Wahrnehmung nicht. Meine Aktionen haben nie irgend jemanden das Leben gekostet.«

Auch beim Sterben von Walen braucht Paul Watson heute nicht mehr hilflos zuzusehen. »Als ich bei Greenpeace war, habe ich Wale sterben sehen. Uns passiert das nicht mehr. Als wir im Juli und August vor den Faröern kreuzten, wurde dort kein einziger Wal getötet. Kaum waren wir weg, ging das Schlachten wieder los. Im nächsten Jahr werden wir versuchen, länger zu bleiben. Aber das ist auch eine Frage des Budgets.« Denn natürlich kostet es Geld, vier Schiffe auszurüsten und zu betanken. Spenden sind also willkommen. Allerdings nicht in der Größenordnung und mit dem bürokratischen Aufwand, mit dem Greenpeace (sagt Watson) sie systematisch einwirbt - und dabei (sagt Watson) faule Kompromisse eingeht, um niemanden zu vergrätzen. »Uns ist egal, was Dänemark von unseren Aktionen hält, oder ob in Japan jemand empfindlich reagiert. Unsere Kunden sind die Haie und Wale.«

Watson setzt lieber auf Gleichgesinnte, die Sea Shepherd finden, ohne dass Spendengelder für teure Werbeaktionen verschleudert werden müssten. Seit einiger Zeit gibt es auch eine Niederlassung von Sea Shepherd in Deutschland. Bei Interview-Beginn steht eine Truppe bärtiger, zupackend wirkender junger Männer in scheuem Abstand um Watson herum und badet in der Aura ihres Helden. Fast tut es einem leid, sie jetzt vor die Tür schicken zu müssen.