nd-aktuell.de / 19.11.2011 / Kommentare / Seite 27

Den Markt ergrünen lassen

Bärbel Höhn

Der Markt ist blind für ökologische Probleme. Profitstreben und Wachstumszwänge treiben die Wirtschaft zu immer stärkerem Ressourcen- und Energieverbrauch. Und jede noch so sinnvolle umweltpolitische Regulierung kann sich des Widerstands mächtiger Industrielobbys gewiss sein. Ist Umweltschutz in der Marktwirtschaft also ein hoffnungsloses Unterfangen? So kann nur argumentieren, wer vor den Erfolgen der Umweltbewegung mutwillig die Augen verschließt.

Seit den Tagen, als Rainer Trampert und ich angefangen haben, Politik zu machen, hat sich viel zum Besseren entwickelt. Dank konkreter umweltpolitischer Maßnahmen sind die Flüsse sauberer und die Luft reiner geworden. Der saure Regen wurde eingedämmt und die Dioxinbelastung durch Filter massiv verringert. Die erneuerbaren Energien traten ihren Siegeszug an. Sogar der Atomausstieg konnte endgültig durchgesetzt werden gegen die Kapitalinteressen übermächtiger Stromkonzerne.

Diese Erfolge kamen nicht von selbst. Jeder umweltpolitische Fortschritt musste hart erkämpft werden - von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden, von kritischen Wissenschaftlern und Gewerkschaftern, und nicht zuletzt von Umweltpolitikern in Bund, Ländern und Kommunen. Die Widerstände waren groß. Es gab Rückschläge und Phasen des Stillstands. Aber mit Beharrlichkeit ist es gelungen, der Marktwirtschaft ökologische Grenzen zu ziehen.

Natürlich haben die ökologischen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, eine weit größere Dimension. Der Kampf gegen eine katastrophale Klimaveränderung ist ein anderer als der Kampf um den »blauen Himmel über der Ruhr«. Und dem weltweiten Raubbau an Biodiversität und Ressourcen ist schwerer beizukommen als der Giftküche von Bitterfeld. Zum einen zwingen diese Probleme zu einer grundlegenden Überprüfung unseres Wohlstandsbegriffs und Entwicklungsmodells. Zum anderen erfordern sie globale Lösungen und einen gerechten Interessenausgleich zwischen Nord und Süd.

Intelligente Umweltpolitik wird auch in Zukunft unterschiedlichste Instrumente einsetzen, um dem Markt Grenzen zu ziehen: Ordnungsrechtliche Gebote wie z.B. Klimagrenzwerte für Pkw. Förderprogramme für Gebäudedämmung, Energiesparen und Erneuerbare Energien. Der Abbau von umweltschädlichen Subventionen wie dem Dienstwagenprivileg oder der Steuerbefreiung von Flugbenzin. Und das europäische Emissionshandelssystem, das durch schärfere Ziele und weniger Ausnahmen gestärkt werden muss. Über den besten Mix und Einsatz dieser Instrumente kann man trefflich streiten. Alle beinhalten Eingriffe in die reine marktwirtschaftliche Lehre. Alle fügen sich aber auch in unser Wirtschaftssystem ein, indem sie Märkte gestalten oder neue kreieren. Ist das gut oder schlecht? Wichtiger ist die Frage, ob es funktioniert. Gut ist, was nutzt.

Liberale Ökonomen verdammen die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verankerte Ökostrom-Förderung als Frevel an der Marktwirtschaft. Dabei gehört es zur Erfolgsgeschichte des EEG, den Unternehmergeist beflügelt zu haben. Hunderttausende sind zu kleinen Stromunternehmern geworden, mit der eigenen Solaranlage auf dem Dach, einer Beteiligung an einem Bürgerwindpark oder einer Biogasanlage auf dem Bauernhof. Mit Erfolg, wie 20 Prozent Ökostromanteil und rund 400 000 Arbeitsplätze in der Erneuerbare-Energien-Branche zeigen.

Der Emissionshandel wiederum wird von manchen Kritikern als neoliberaler Ablasshandel verworfen. Dabei basiert er auf der ordnungsrechtlichen Begrenzung und planmäßigen Absenkung der CO2-Gesamtemissionen aller großen Fabriken, Kraftwerke und Fluggesellschaften in der EU. Die erwünschte Folge ist, dass Investoren und Unternehmen bei jeder Entscheidung die Kosten des CO2-Ausstoßes mitbedenken müssen. So trägt der Emissionshandel dazu bei, dass sich der Neubau klimaschädlicher Kohlekraftwerke heute wirtschaftlich kaum noch rechnet.

Mitunter ist auch zu wenig Markt das Problem. Die Macht der Oligopolisten E.on, RWE, Vattenfall und EnBW, die bisher 80 Prozent der deutschen Stromerzeugung kontrollierten, war ein ständiger Bremsklotz für Klimaschutz, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Auch nach dem Atomausstieg werden die vier Konzerne noch eine dominierende Rolle spielen. Mehr Wettbewerb und neue Anbieter wären daher nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für die Umwelt ein Gewinn.

Fazit: Kluge Politik kann die Marktwirtschaft ergrünen lassen. Die Klimakatstrophe wartet nicht auf den Ausgang ideologischer Debatten.