nd-aktuell.de / 21.11.2011 / Politik / Seite 5

Rechte Augen

Die Bundesrepublik bewältigen: Im Geheimdienstmilieu lebt der Frontgeist der Adenauerzeit fort

Velten Schäfer
Sollen die Geheimdienste reformiert werden, reichen veränderte Strukturen nicht. Was mindestens angegangen werden muss, ist der post-faschistische Geist der Adenauerzeit, der im siegreichen West-Geheimdienst fortleben konnte.

Es ist schon erstaunlich, wie schnell nun eine Diskussion über ein NPD-Verbot einsetzt, gerade auch durch diejenigen, die all das so lange blockiert haben. Doch so viele gute Gründe es dafür gibt, so verfehlt ist eigentlich der Anlass: Schließlich spielt die Neonazi-Partei im Fall der Zwickauer Mörderbande offenbar eher eine Nebenrolle. Im Vergleich jedenfalls zu dem Zipfelchen bundesdeutscher Verfassungsschutzarbeit, das nun endlich in ein breiteres Licht gerückt wird.

Sollte ein Geheimdienst mit dem Killertrio nach dessen Abtauchen tatsächlich Kontakt gehabt haben, wäre dies ungeheuerlich - sollte es jedoch nicht so gewesen sein, wird der Skandal auch nicht kleiner. Denn das Abgrundtiefe an der Thüringer Situation ist schon die Grundkonstellation. Ein Staatsschutz, dessen V-Leute objektiv klandestine Organisationen aufbauen, die wiederum gewaltsam gegen die linke Opposition vorgehen, ob nun mit oder ohne konkrete Kenntnis der Führungsoffiziere: Im Grunde ist das die Logik der Todesschwadronen, bei denen man unwillkürlich an lateinamerikanische Diktaturen denkt, meilenweit weg vom eingebildeten Demokratieweltmeisterland. Und so wird man nun versuchen, das ganze als Einzelfall zu präsentieren, als Irrfahrt einer skurrilen Nachwendefigur, die plötzlich zu viel Macht bekam. Aber ist der nun viel kritisierte Helmut Roewer wirklich nur ein tendenziell durchgebrannter Exot?

Viel ist nicht bekannt über seine Karriere. In Konstanz hat er 1982 über die Rechte von Menschen im Heimwesen promoviert, anschließend ging er in den Bundesdienst - und endete unter Kohl im Innenministerium, wo er laut Lebenslauf jahrelang mit den »Geheimen« arbeitete. Was hat man damals dort gelernt über den Schutz des Staates? Welche Koalitionen man eingehen darf, welche Methoden legitim sind - und wo genau der Hauptfeind steht? Und wie klang es eigentlich, wenn sich die siegreiche westdeutsche »Geheimdienst-Community« kurz nach der Wende auf ein Bier traf?

Man weiß es nicht, es ist ja geheim. Aber auch wenn man wohl davon ausgehen darf, dass in keinem Schlapphut-Handbuch geschrieben steht, man möge sich Nazihorden heranzüchten, um linke Querulanten zu neutralisieren, kann man wohl vermuten, dass sich die moralische Empörung unter den Konspirativen in Grenzen hielt, wenn die Sprache beim Kameradschaftsabend auf Contras, Paramilitärs und Todesschwadronen kam. Schließlich spielten viele der Regime, die in solchen Taktiken führend waren, weltpolitisch gesehen im selben Team wie die klandestinen Verteidiger der Bundesrepublik - die international durchaus für ihre antikommunistische Hartleibigkeit bekannt war.

Als etwa 1976 das Morden in Argentinien begann, holten alle westlichen Staaten ihre Landeskinder nach Hause - außer der BRD, die untätig blieb und den oft grausamen Tod von etwa 100 deutschen oder deutschstämmigen Linken, oft Studenten, in Kauf nahm.

Immerhin sprechen wir von Apparaten, deren Leitung über Jahrzehnte NS-Massenmörder aus der allerersten Reihe gedeckt und bezahlt hat. Ende September legte die Historikerkommission, die seit geraumer Zeit einen Teil der BND-Akten einsehen darf, das neuste Detail vor: Nicht nur Klaus Barbie, der »Schlächter von Lyon« und Alois Brunner, der Mörder des Wiener Judentums, waren definitiv beim BND, sondern auch der SS-Standartenführer Walther Rauff, der Erfinder des Vergasungs-Mobils, mit dem der »industrielle« Abschnitt des Holocaust eingeleitet wurde. Dass dem konkret so war, wird nicht jeder gewusst haben im Geheimdienst und im Innenministerium, wo die Drähte von BND und Verfassungsschutz zusammenlaufen, vielleicht nicht einmal der jeweilige Minister. Dass aber, wie die Historiker ebenfalls festgestellt haben, in den letzten Tagen der Kohl-Regierung zielgerichtet und in Größenordnungen derartige Akten vernichtet wurden, beweist, dass es stets einen Kreis von Eingeweihten gegeben hat.

Die Bundeskanzlerin hat die Umstände der rassistischen Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) zu recht eine Schande genannt. Zu der noch ungleich viel größeren Beschämung, zu der eigentlich aus den Fällen Brunner und jetzt Rauff führen müssten, hat sie dagegen nichts gesagt, während ihre Koalition an einer weiteren Verschärfung des »Stasi«-Unterlagengesetzes arbeitete. In Merkels Logik ist das eine aktuell und das andere Zeitgeschichte. Tatsächlich aber gehört beides zusammen, auch wenn die Innen- und Außendienste getrennt operieren und sich zuweilen die Butter auf dem Brot nicht gönnen: Ausgerechnet in dem Bereich der Exekutive, an dem größtmögliche persönliche Machtfülle auf die schwächsten Kontrollmechanismen trifft, lebt der Geist der Adenauerzeit, in der noch der schlimmste Nazi immerhin ein guter Antikommunist war. Deshalb trifft das Bild auch nicht, das von vielen bemüht wird: Der Staat ist nicht »auf dem rechten Auge blind«. Er hat nur rechte Augen.

Das kann im Rückblick kaum erstaunen, schließlich waren die Dienste jahrzehntelang damit beschäftigt, all das zurückzudrängen, was ab Mitte der 1960er Jahre den Adenauerkonsens zu bedrohen schien. Diese Traditionslinien müssen abgebrochen und der Geist der alten Bundesrepublik bewältigt werden, wenn im Geheimdienstbereich als Reaktion auf den »NSU«-Skandal tatsächlich so gründlich aufgeräumt werden soll, wie es jetzt die Bundesjustizministerin andeutet. Und wie die Geschichte zeigt, geht das am besten mit einem Rechtsverfahren - zum Beispiel gegen diejenigen, die immer von den Brunners und Rauffs gewusst, aber nichts gesagt haben. Oder gegen die, aufgrund deren Einschätzungen und Ratschlägen Dutzende junge Deutsche ihr Leben an die Folterknechte des Jorge Rafael Videla verloren haben. Die Verantwortlichen leben noch - und es ist nicht schwer, sie zu finden.