Erdgebunden expressiv

Galerie Nierendorf, Berlin: Gemälde und Aquarelle von Rolf Händler

  • Lesedauer: 3 Min.
Kapuzinerkresse zwischen Malutensilien, Öl auf Hartfaser, 1996
Kapuzinerkresse zwischen Malutensilien, Öl auf Hartfaser, 1996

Nachdem die traditionsreiche, auf moderne Klassik spezialisierte Galerie Nierendorf im vergangenen Jahr Grafiken aus eigenem Verlag gezeigt hat, öffnet sie nun - nach Maxim Kantor - zum zweiten Mal einem zeitgenössischen Künstler ihre Räume: Rolf Händler, Gemälde und Aquarelle aus vier Jahrzehnten. Ein Unangepasster, ein Wiedergänger des expressiven Realismus, der an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studiert hat. Dem offiziell gewünschten, platten Optimismus wollte er sich nicht fügen, sondern »die ganze Realität in ihrer Unzulänglichkeit wie in ihrer Kraft« auf Leinwand und Papier bannen. Ein neue Wege Suchender, der aber auch nicht dem westlichen Markttrend folgte, stattdessen an einer stark sinnlich schwingenden gegenständlichen Malerei festhielt.

Händler liebt nicht das Grelle. Erdige Farben dominieren vor dunklen Hintergründen. Die Aquarelle sind lichter. In Farbauswahl und -auftrag gibt sich der Einfluss der Dresdner Schule, vor allem Theodor Rosenhauers, zu erkennen. Landschaften von suggestiver Kraft. Oft skizzenhaft ausgeführt, bleibt der Fantasie des Betrachters Raum, und doch vermitteln sie eine unverwechselbare Stimmung.

Stillleben von ganz eigener Couleur. Sie sind bei Weitem nicht »nature morte«, wie in Frankreich der aus dem Holländischen entlehnte Begriff umschrieben wird. Auch nicht nur stille »leven«, Modelle im Sinne von Gegenständen. Mir ist kein Künstler bekannt, der dem deutschen Wort Stillleben so nahe kommt. Händlers Anordnungen »leben« wahrhaftig. Er erreicht diese Wirkung, indem hinter den Dingen - Gefäße, Blumen, Malutensilien etc. - Gesichter aufscheinen oder als Porträtbilder in die Auswahl der Gegenstände einbezogen sind. Und immer ist eine Frau, seine Frau Ute, gegenwärtig, oft als »Zweifelnde«, als »Betroffene«, zu fragender Geste eine Hand an Mund oder Wange geführt. Ein Grundthema des Künstlers: Wer nicht zweifeln kann, lebt nicht. Zweifel gehören für Händler zur Wirklichkeit wie das Glücklichsein oder Depression. Sieht man die Porträts des Maler und seines wichtigsten (Kopf-)Modells nacheinander oder ineinander gedacht, empfindet man etwas Schönes: die Spannung einer großen Liebe.

Vor drei Jahren, 2008 auf der grandiosen »Expressionale« am Potsdamer Platz, war Rolf Händler mit seinen Mauerbildern aufgefallen. Darunter »Aufbruch«, 1989 entstanden. Man glaubt, eine Szene von der Öffnung der Sperranlagen vor sich zu haben. Symbolisch überhöht: eine Menschenmenge, eingewinkelt zwischen Mauern, dicht gedrängt Gesichter mit großen dunklen Augen. Im Hintergrund der Wachturm. Gang und Drang in den Westen? Wir sind überrascht zu erfahren, dass Händler das Bild vor dem Grenzdurchbruch gemalt hat. Kein realer Vorgang also, das Gemälde scheint eher eindringlich zu fragen: Was wird aus der Mauersituation? Wie endet das? »Ich hatte im Sommer das Gefühl, dass die Mauer nicht mehr lange stehen wird«, erinnert sich Rolf Händler.

Die Linien des Bildaufbaus treffen sich hinter einem kraftvollen, dunkelbärtigen Männerkopf; wenn man die Folge der Selbstdarstellungen vor Augen hat, unschwer als das Alter ego des Künstlers zu erkennen. Er hat, wie der Poet ein »lyrisches Ich« schafft, dem Eigentlichen, Wesenhaften seiner Person Gestalt gegeben. So wie er sich sieht und fühlt. Etwas Bewusst-Kraftvolles spricht uns an. Erstaunlich, denn Rolf Händler hat überhaupt nichts Robustes an sich. Er ist ein zurückhaltender, sensibler Mensch, der allerdings beharrlich in seinem Karower Atelier die psychische Durchdringung der Motive und die dazu erforderliche Maltechnik zu vervollkommnen sucht. Er nennt das: die »Zauberschrift« der Formen und Farbe finden.

»Eine gewisse Ähnlichkeit schätze ich«, sagt er, »aber darauf kommt es nicht an. Mein malerisches Credo ist, dass das Gefühl zum Gesetz wird. Der Auslöser ist stets ein tiefgreifendes Erlebnis. Und dann interessiert mich, die Bindungen der Gegenstände und Personen, die ich malen will, zu ergründen.« Sie auf jeweils eigene Weise zu deuten, überlässt er dem Betrachter

Galerie Nierendorf, Berlin, Hardenbergstraße 19. Rolf Händler. Gemälde und Aquarelle 1969-2011. Bis 9. März 2012, Di-Fr 11-18 Uhr.

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