Die Euphorie ist verflogen

Bei ihrem Parteitag in Kiel sind die Grünen auf der Suche nach neuen Kernthemen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei den Grünen ist vor ihrem Bundesparteitag an diesem Wochenende in Kiel die Euphorie verflogen. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke kündigte nüchtern einen »Arbeitsparteitag« an. Die Partei will nach den Flügelkämpfen im Berliner Landesverband und den gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit der SPD Leitlinien für eine Politik festlegen, mit der die schwarz-gelbe Bundesregierung 2013 abgelöst werden kann.

Allerdings ist das Kernthema der Grünen - die Umweltpolitik - in den vergangenen Monaten in den Hintergrund getreten. Mit ihrer Zustimmung zum schwarz-gelben Ausstiegskonzept aus der Atomenergie bieten sich für die Grünen in diesem Bereich keine Angriffsmöglichkeiten mehr auf die Regierung. Auch über den Klimawandel und den damit zusammenhängenden CO2-Ausstoß wird nur noch selten berichtet. Gleichzeitig sind die Grünen in den Umfragen gesunken. Etwa 14 Prozent der Bundesbürger würden derzeit die Ökopartei wählen. Das wäre zwar ein Zuwachs von 3,3 Prozentpunkten im Vergleich zur Bundestagswahl 2009, aber ein deutlicher Rückfall gegenüber Werten weit über 20 Prozent im Frühjahr. Ob es für das favorisierte Bündnis mit den Sozialdemokraten reichen wird, ist zudem völlig offen.

In Kiel wollen sich die Grünen nun neuen Themen zuwenden. Der ökologische Umbau der Wirtschaft, die Staatsfinanzen und die europäische Krise werden hierbei im Zentrum stehen. Die Europadebatte dürfte durch den angekündigten Auftritt des vor kurzem als Premierminister zurückgetretenen griechischen Sozialisten Giorgos Papandreou zusätzliche Aufmerksamkeit erhalten.

Wirtschaftspolitische Kompetenz sprechen die Bürger allerdings bisher vor allem Union und SPD zu. Fraglich ist, ob es den Grünen nun gelingen wird, mit ihrem »Green New Deal« zu punkten. Demnach sollen Haushalte saniert, die Energiewende vorangetrieben sowie die Finanzmärkte reguliert werden. Zur Finanzierung ihrer Vorhaben wollen die Grünen Vermögende und Besserverdienende stärker belasten.

Wie weit diese Belastung gehen soll, ist in der Partei indes strittig. Der Parteivorstand hat sich trotz Kritik vonseiten des Wirtschaftsflügels in seinem Antrag auf eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49 Prozent ab einem Jahreseinkommen von 80 000 Euro geeinigt. Die rot-grüne Bundesregierung hatte den Spitzensteuersatz einst radikal gesenkt. Die Grüne Jugend will diesen wieder auf 53 Prozent bei einem Einkommen ab 75 000 Euro anheben. Während Parteichef Cem Özdemir mehr als 50 Prozent steuerliche Belastung für »nicht verkraftbar« hält und den ökologischen Umbau »mit der Wirtschaft schaffen« will, spricht sich der Jugendverband für Verteilungsgerechtigkeit und einen Staat aus, »der in der Lage ist, wichtige Institutionen zu stärken und öffentliche Aufgaben zu übernehmen«. Der Bundesvorstand favorisiert zudem eine einmalige und zeitlich befristete Vermögensabgabe zur Bewältigung der Kosten der Finanzkrise. Der Landesvorstand Nordrhein-Westfalen, der dabei von anderen Landesverbänden unterstützt wird, fordert dagegen eine Vermögensteuer.

Auch die Debatte über ein Verbot der NPD wird bei den Grünen kontrovers geführt. Der Bundesvorstand befürwortet ein neues Verbotsverfahren und die Abschaltung der V-Leute. Dafür spreche laut Grünen-Chefin Claudia Roth der »präventive Opferschutz«. Dem widersprechen einige Abgeordnete aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. »Wir haben begründete Zweifel, dass ein NPD-Verbot die extrem rechte Szene dauerhaft schwächen würde«, sagte der Thüringer Dirk Adams. Er äußerte die Befürchtung, dass sich die Rechtsextremen dann anders organisieren oder in informelle Zusammenschlüsse abtauchen.

Neben der Klärung inhaltlicher Fragen geht es bei der Delegiertenkonferenz offensichtlich auch darum, der Konkurrentin Piratenpartei das Wasser abzugraben. Zur Stärkung der innerparteilichen Demokratie können Delegierte in 13 Workshops zu Beginn des Parteitags erstmals selbst Anträge erarbeiten. Und zum Abschluss wird am Sonntag über »die Chancen des Internets« diskutiert.

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