Nazis »bedroht« durch Kühe im Kiez

Aktionen unter Polizeischutz: Jugendbündnis in Schöneweide arbeitet gegen Rechts

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Kühe grasen auf einer satten Wiese. Dazu Blumen, Gräser, Berge und Wolken. Die ländliche Idylle auf dem Bild erinnert an eine Kinderzeichnung. »Ich hätte niemals gedacht, dass ein so naives Bild die Nazis so sehr treffen kann«, sagt Sebastian Gecke aus Schöneweide, der Berliner Nazihochburg. Gecke, Vertreter des Jugendbündnisses »BUNT statt braun!« heißt eigentlich anders. Und auch das hätte der junge Mann nicht gedacht: dass er, wenn er schon in der Zeitung steht, seinen Namen ändern möchte, um nicht erkennbar zu sein, um nicht zur Zielscheibe für die Rechten zu werden.

»Schöner weiden ohne Nazis!« steht auf dem naiven Kuhbild. Das ist der Grund, warum es trifft. Das Motiv, das mit dem Ortsnamen »Schöneweide« spielt, prangt seit gut einem Jahr überall in Schöneweide: auf Großflächenplakaten, auf Postkarten und Aufklebern, die Bürger auf Brückenpfeilern und Verkehrsschildern angebracht haben. Auch im Internet ist das Motiv auf Seiten präsent, die mit Schöneweide zu tun haben. Das Motiv einer 20-jährigen Köpenickerin hat damals den Publikumspreis eines Wettbewerbes für grafische Ideen für Schöneweide gewonnen. Es ging darum, den tristen Ortsteil optisch aufzuhübschen. Und seitdem gibt es einen regelrechten Kuh-Krieg in Schöneweide.

»NS jetzt. Lasst die Kühe im Dorf. Schöneweide gehört uns« haben die Rechten in der Nähe der Brückenstraße an mehrere Stellen mit Sprühschablonen auf die Straße gesprüht. Auf der Website der Nazikneipe »Zum Henker« war bis Oktober das Kuhmotiv verfremdet abgebildet: Auf eine Kuh wurde mit einem Gewehr geschossen, sie quälte sich in ihrem Blut. »Das zeigt uns, wie sehr sie von diesem einfachen Motiv, zwei Kühen, die friedlich grasen, getroffen werden«, sagt Gecke. Die Großflächenplakate bleiben oft nicht lange kleben. Direkt an der Giebelwand der Nazikneipe »Zum Henker« ist die untere Hälfte abgerissen. Der obere Teil des Bildes ist ohne Leiter unerreichbar. An anderen Stellen wurden die Plakate beschmiert. Die Jugendlichen überkleben sie in regelmäßigen Abständen neu.

Das allerdings ist nicht einfach, denn die Rechten reklamieren Schöneweide als ihren Kiez. Auch optisch. Immer wieder werden hier Hakenkreuze oder rechte Parolen geschmiert. Insbesondere in der Brückenstraße. Hier haben sie mit der Nazikneipe »Zum Henker« den wichtigsten Treff für die rechte Szene Berlins.

Rund 150 Meter davon entfernt verkauft seit dem Sommer NPD-Landesvize Sebastian Schmidtke in seinem Laden »Hexogen« T-Shirts und Militärhosen sowie Schlagwerkzeuge und Pfefferspray. Hier gibt es weitere von Rechten gern besuchte Läden wie ein Tatoo-Studio. Die Polizei registriert hier regelmäßig Straftaten. Und hier verfügen die organisierten Rechten über informelle Informationskanäle.

Im Juli haben Vertreter des Jugendbündnisses, darunter Sebastian Gecke, eine graue Garagenwand in dieser Straße mit Einverständnis des Eigentümers bunt besprüht. Unter Polizeischutz übrigens. Den hatten die Jugendlichen zwar für so eine vermeintlich harmlose Sprühaktion für überflüssig gehalten, doch alteingesessene Schöneweider haben ihnen dazu geraten. Auf die Betonwand sprühten sie eine Wiese mit Blumen und Schmetterlingen, dazu die beiden Kühe und den Schriftzug »Schöner weiden«. Gecke: »Ganz bewusst haben wir auf den Zusatz »ohne Nazis« verzichtet, denn uns ging es weniger um Provokation als um eine Aufhübschung der Fläche.«

Die Jugendlichen hatten die Gewaltbereitschaft der Rechten in Schöneweide unterschätzt. Mehrere der Sprüher waren nach Angaben des jungen Mannes auf dem Nachhauseweg verfolgt worden. Sebastian Gecke erinnert sich: »Wir wurden in eine Sackgasse getrieben. Wir wurden bedroht. Wäre nicht rechtzeitig die Polizei gekommen, wäre es zu Gewalt gekommen.«

Die Polizei hatte den Jungs zur Anzeige geraten. »Wir haben uns das genau überlegt, aber dann doch darauf verzichtet. Wir wollten einfach nicht, dass die Rechten unsere Personalien haben.« Die Angst, die sollte einfach nur aufhören. »Aber wir werden weiter Kühe in Schöneweide sprühen und kleben«, sagt er.

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