Wer warnt, lebt gefährlich

Auf betriebliche Missstände hinweisen - das kann viel Ärger geben

  • Eckart Roloff
  • Lesedauer: 3 Min.
Whistleblowing - Alarm schlagen - bei Missständen ist ein Akt der Zivilcourage, aber Repressalien sind die Folge des Muts.

Der Begriff soll auf etwas Positives deuten, doch er klingt streng und bürokratisch: Hinweisgebersystem. Das englische Wort dafür macht die Sache nicht leichter. Es heißt Whistleblowing. Wörtlich: die Pfeife blasen, und dann: Alarm schlagen. Besonders dann, wenn im Betrieb etwas nicht stimmt. Wenn jemand einen Missstand sieht und ihn nicht länger hinnehmen will, wenn er andere darauf hinweisen möchte.

Was auf dem ersten Blick einfach wirkt, ist im betrieblichen Alltag eine komplizierte und riskante Sache. Um was für einen Missstand geht es? Geht es um einen Verdacht oder einen klaren Sachverhalt, gar um eine Straftat bis hin zu Steuerhinterziehung, sexueller Nötigung und Korruption? Und wer soll den Hinweis bekommen - ein Kollege, der Chef, die Personalabteilung, der Betriebsrat? Vielleicht eine Redaktion?

So viele Fragen, so viele Unwägbarkeiten und Hindernisse. Dabei scheint alles so klar. »Der Hinweis auf Missstände innerhalb eines Unternehmens ist notwendig und ein konstruktiver Beitrag zur Unternehmenskultur«, so Susanna Nezmeskal, bei der Deutschen Post DHL in Bonn zuständig für solche Themen. Sie sagte das kürzlich bei der Tagung »Whistleblowing oder Der Aufstand der Anständigen - Hinweisgebersysteme zwischen Verrat und Zivilcourage« in der Evangelischen Akademie im Rheinland (Bonn). Mit Verrat und Zivilcourage ist bereits die enorme Spannweite und Spannung benannt, um die es dabei geht.

Nicht alle Firmen sehen den Umgang mit Missständen so konstruktiv wie die Deutsche Post DHL. Sehr drastisch zeigte sich das im Fall von Brigitte Heinisch. Die Altenpflegerin, angestellt beim Berliner Klinikkonzern Vivantes, hatte nach sieben Jahren und mehreren verlorenen Prozessen erst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) recht bekommen. Im Juli 2011 stellte er fest, dass die freie Meinungsäußerung der Pflegerin wichtiger sei als die möglicherweise verletzte Loyalität. Ein großer Sieg für sie und generell für alle, die solche Konflikte mitmachen. Brigitte Heinisch hatte 2007 den Whistleblower-Preis der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler erhalten. Dabei wurde hervorgehoben, dass sie Entscheidendes richtig gemacht hatte: Zunächst hatte sie die Missstände mehrfach gegenüber ihrem Arbeitgeber Vivantes zur Sprache gebracht. Erst als das alles ohne Erfolg blieb, ist sie an die Öffentlichkeit gegangen.

Immer wieder wird versucht, Whistleblower als Netzbeschmutzer und Denunzianten hinzustellen. Manchmal werden sie ausgegrenzt und gemobbt. Doch es steht nach deutschem Arbeitsrecht jedem zu, sich beim Betriebsrat zu beschweren, ohne Nachteile befürchten zu müssen. In der Praxis reicht das aber oft nicht aus. »Gerade Betriebsräte sollten darauf achten, dass ein echter Schutz für alle Beschäftigten und keine Kultur des Misstrauens entsteht«, fordert Mario Utess, Jurist bei der IG Metall in Köln.

»Der gesetzliche Schutz ist unzureichend«, stellt auch das Whistleblower Netzwerk fest. »Die Arbeitgeber sitzen am längeren Hebel und können Whistleblower unter Umständen fristlos entlassen.« Aber die Bundesregierung will dagegen nichts tun. Zu Vorstößen der Linksfraktion vom Juli und der SPD-Fraktion vom September 2011 meinte sie, dass ein stärkerer Rechtsschutz derzeit nicht erforderlich sei.

Für den Tübinger Politikwissenschaftler Gerd Meyer, der viel über Zivilcourage geforscht hat, kommt es darauf an, die Haltung der Arbeitgeber zu durchbrechen. Freilich frage sich, »ob die überhaupt aufrechten Gang, moralische Integrität und Widerspruch gegen Missstände wollen«, so Meyer bei der Bonner Tagung. Für eine Gesellschaft sei jedoch sozialer Mut und das Eintreten für Werte entscheidend. »Das meiste Unrecht beginnt im Kleinen«, sagte er.

Brigitte Heinisch streitet sich unterdessen noch immer mit ihrem alten Arbeitgeber. Sie will die Aufhebung der Kündigung gerichtlich erwirken oder aber eine Entschädigung in Höhe von 350 000 Euro brutto. Vivantes hatte nach dem EGMR-Urteil 70 000 brutto angeboten. Der Streit dürfte sich noch hinziehen.

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