Wo die Welt sich langsamer dreht

Eine Raststätte in Rheinland-Pfalz ist für viele Lkw-Fahrer mehr als nur ein Zwischenstopp

  • Anke Hoffmann, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Wer tagelang allein hinterm Steuer eines Lkw sitzt, sucht in den Pausen nach einem Zuhause auf Zeit. Fündig werden die Trucker zum Beispiel am Autohof Rheinböllen an der A61.

Rheinböllen (dpa/nd). Nur 300 Meter Luftlinie entfernt ist die Welt eine andere, eine schnellere. Dort rauschen Autos die A61 entlang, Lastwagen donnern über den Asphalt. Hier aber, am Autohof Rheinböllen im Hunsrück, verliert sich die Geschwindigkeit der Autobahn. Das wissen vor allem die zu schätzen, die besonders lang und häufig unterwegs sind: Brummifahrer. Auffallend viele rasten am Autohof in Rheinböllen, denn der hat unter Fernfahrern einen hervorragenden Ruf.

Wie eine Eckkneipe

240 Stellplätze für Lkw sind vorhanden, außerdem gibt es einen großen Shop, der auf die Bedürfnisse von Truckern zugeschnitten ist, einen Reparaturservice sowie Duschen und Toiletten. Den guten Ruf hat der Autohof besonders der Gastronomie zu verdanken: In Rheinböllen gibt's bodenständige Küche rund um die Uhr. Dafür verbürgt sich Inhaber Heinz Elbert, der lange Jahre selbst am Herd stand. Der 63-jährige, rührige Mann ist Küchenmeister. Als er vor 30 Jahren das Ruder in Rheinböllen übernahm, kochte er, wie er es in Restaurants gelernt hatte: gutbürgerlich.

Das kann Theodor Schoch bestätigen. Der Lkw-Fahrer ist mit seinem Vierzigtonner regelmäßig auf der A 61 unterwegs, ein Stopp in Rheinböllen steht meistens an. Mal bleibt er über Nacht, jetzt sitzt er nur zum Mittagessen in der Gaststube. Die wirkt wie Eckkneipe und gutbürgerliches Restaurant in einem. Rechts am Eingang ein Tresen aus dunklem Holz, aus dem auch die Tische und Stühle gefertigt sind. Hier erinnert nichts an die Schnellrestaurants mit Selbstbedienung, die so häufig an der Autobahn zu finden sind.

»Soziale Aufmerksamkeit«

Schoch weiß genau das zu schätzen. »Mir gefällt das so«, sagt der 47-Jährige und wischt sich mit der Serviette über Schnauzbart und Mund, bevor er sie auf den leer gegessenen Teller legt.

»Ein nettes Wort ist für die Fernfahrer genauso wichtig wie etwas Warmes zu essen«, sagt Elbert. Wer den ganzen Tag allein auf dem Bock sitzt, Stunde um Stunde auf die Fahrbahn starrt und unter Zeitdruck steht, freut sich in der Pause über »soziale Aufmerksamkeit«, wie Elbert es nennt - besonders an den Wochenenden, wenn die Trucker wegen des Fahrverbots an den Raststätten stranden.

Früher, als Heinz Elbert noch selbst in der Küche stand, redete er nächtelang mit den Fahrern oder hörte auch nur zu, wenn einer seine Sorgen loswerden wollte. Als es ihm irgendwann zu viel wurde, richtete er einen monatlichen Truckerstammtisch ein. Ein Geistlicher, der zugleich leidenschaftlicher Biker ist, betreut die Runde. Manchmal kommt nur einer, manchmal sitzt ein Dutzend Fernfahrer am Tisch.

Und bei Elbert wird gefeiert: Jährlich lädt der Autohof Anfang Dezember zur Truckerweihnacht mit Livemusik ein. Und auch wenn sich die Truckerszene nach wie vor bei Heinz Elbert trifft, merkt man auch am Autohof den Wandel der Zeit: Früher kamen in 24 Stunden etwa 2000 Kunden, vor allem Fernfahrer, um zu tanken und zu essen. Heute fahren zwar noch täglich 1500 Kunden den Autohof an, die Hälfte von ihnen tankt allerdings nur und setzt die Reise fort, ohne Restaurantbesuch.

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