Schlaglichter des Widerstands

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Widerstand der Atomkraftgegner im Wendland ist massenhaft und hartnäckig, ihre Aktionen Kreativ. Eine kleine Auswahl.

Samstag, 15 Uhr: Bei der Großkundgebung in Dannenberg kritisiert Jochen Stay, Sprecher der Atni-Atom-Organisation Ausgestrahlt, den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der weitere Proteste in Gorleben für verzichtbar hält. Das habe die Anti-AKW-Bewegung vor zehn Jahren schon einmal von Jürgen Trittin gehört - »und wir wissen, was später passiert ist«. Längst nicht alle der ursprünglich rund 20 000 Demonstranten hören zu. Viele machen sich auf nach Harlingen bei Hitzacker, wo die Schienenblockade der Initiative »Widersetzen« begonnen hat.

16.15 Uhr: Immer mehr Menschen strömen auf die Gleise, die Menge wächst schnell auf 2000 Leute an. Die Polizei hält sich weitgehend zurück. Ein Dudelsackspieler spielt, Stroh und heiße Getränke werden herangeschafft.

18.45 Uhr: Der am Mittwochmorgen gestartete Castorzug erreicht den Rangierbahnhof Maschen bei Harburg.

19.20 Uhr: Atomkraftgegner und Polizei ziehen eine bittere Bilanz. Es gab im Wendland bislang fast 150 Verletzte - rund 35 Polizisten und mehr als 100 Demonstranten. Viele von ihnen erlitten Augenverletzungen durch Pfefferspray, andere Prellungen durch Stockhiebe, eine Frau wurde durch die Hufe eines Polizeipferdes schwer am Kopf verletzt.

19.30 Uhr: Greenpeace teilt mit, dass sich sieben Aktivisten kurz hinter Lüneburg an den Schienen der Castorstrecke verankert haben. Die Arme stecken in einer Vorrichtung unter den Gleisen. »Wir haben die Befestigung etwas perfektioniert«, so Greenpeace-Sprecher Tobias Riedl.

22.20 Uhr: Die Polizei bekommt die Greenpeace-Leute nicht frei. Beamte mit schwerem Gerät schrauben Schienen von den Schwellen ab.

23.05 Uhr: Die Schienenblockade in Harlingen ist auf über 4000 Teilnehmer angewachsen. Jetzt spielt eine Punk-Band. Mehrere Lagerfeuer brennen. Gleichzeitig wurden im Wendland zahlreiche Straßen, Kreuzungen und Kreisel blockiert. In einem Fall haben Unbekannte zwei Wagenladungen Kies auf den Asphalt gekippt, anderenorts liegen große Haufen Schottersteine auf der Fahrbahn.

23.25 Uhr: Polizisten und Bahntechniker trennen an der Greenpeace-Blockade mit Schweißbrennern zehn Meter lange Stücke aus den Schienen. Bei Harlingen wird 250 Meter entfernt von den Gleisen ein großer Kreis aus Polizeifahrzeugen als Freiluft-Gefängnis für die Schienenblockierer aufgebaut.

Sonntag, 0.25: Uhr: Alle sieben Greenpeace-Aktivisten sind aus dem Gleisbett der Castor-Strecke »befreit«. Nach einer ärztlichen Untersuchung sollen sie in Gewahrsam genommen werden.

03.00 Uhr: Radio Freies Wendland und Castor-Ticker melden eine weitere Ankett-Aktion auf den Schienen bei Barendorf. Vier Atomgegner haben sich an einen auf den Gleisen platzierten Betonklotz angeschlossen. In Harlingen bereitet die Polizei die Räumung vor und erklärt die Versammlung auf den Schienen für aufgelöst. Eine halbe Stunde später tragen Beamte die ersten Blockierer weg.

05.55 Uhr: Wer in Harlingen nicht freiwillig geht, kommt in die provisorische Gefangenen-Sammelstelle (GeSa). Knapp 1000 Menschen werden dort festgehalten. Sanitäter, »Volxküche« und Anwälte kümmern sich um die Eingesperrten. »Widersetzen« kündigt Klagen gegen die Freiheitsberaubung an. Erst jetzt wird bemerkt, dass sich im Schutz der Blockade zwei Robin Wood-Mitglieder angekettet haben. Es wurde auch geschottert. Der Atommülltransport steht weiter in Maschen.

08.05 Uhr: Es gibt bei Hitzacker eine weitere Schienen-Blockade. Bauern haben unbemerkt eine Betonpyramide aufs Gleis geschafft, zwei Landwirte sind dort angekettet. »Die Pyramdide war noch über«, sagt einer. Die Polizei schafft auch hier schweres Gerät heran. Bei der Befreiung der bei Barendorf angeketteten Aktivisten kommen die Beamten nur langsam voran. Über einen Schlauch erhalten sie warme Luft von einem Heizstrahler. Ihr Blutdruck wird regelmäßig gemessen.

11.30 Uhr: Die Robin Wood-Ankett-Aktion auf den Schienen ist von der Polizei beendet worden, die Blockaden bei Barendorf und Hitzacker dauern an. Jetzt treten auch die »Schotterer« wieder in Aktion. Bei Eimstorf sollen auf einer Länge von 20 Metern massenhaft Steine entfernt worden sein.

11.45 Uhr: Direkt an der Dannenberger Verladestation, wo ein Kran die elf Castoren irgendwann von Eisenbahnwaggons auf Tieflader hieven soll, hat eine »Stuhlprobe« begonnen. Etwa 40 Frauen und einige Männer haben sich auf mitgebrachten Hockern, Klappstühlen, Kissen und anderen Sitzgelegenheiten niedergelassen. »Stuhlproben« gibt es seit etwa fünf Jahren an jedem Sonntag in der Castor-Zeit. Ursprünglich stammt die Aktionsidee von den »Grauen Zellen«, einer Gruppe von Senioren aus dem Widerstand, die sich wegen ihres fortgeschrittenen Alters nicht mehr auf Straßen und Schienen setzen können oder wollen.

12.05 Uhr: Der Vorjahresrekord ist eingestellt. Der Castor-Transport ist seit 92 Stunden unterwegs. In Harlingen kündigt die Polizei an, dass alle Demonstranten, die ihre Personalien angeben, aus der »GeSa« freikommen, so ein Polizeisprecher.

12.45 Uhr: Der Castor-Ticker meldet: »Auf dem Deich vor Penkefitz ist ein Hänger umgefallen. Dort gibt es nun Kaffee und Kuchen.«

14.20 Uhr: Am frühen Nachmittag fährt der Castorzug vom Rangierbahnhof Maschen bei Hamburg los, wo er seit Samstagabend geparkt ist. Nahezu zeitgleich beginnt eine weitere Sitzblockade der Initiative »X-tausendmal quer«. Mehrere hundert Demonstranten haben sich von ihrem Camp in Gedelitz auf Feld- und Waldwegen zu der Straße durchgeschlagen, auf der die Castoren nach Gorleben rollen sollen. Die Polizei hat inzwischen zwei der vier Castor-Gegner, die sich in Barendorf an die Schienen gekettet hatten, losmachen können.

14.40 Uhr: Immer noch arbeitet ein Techniktrupp der Bundespolizei daran, die vier Bauern, die sich in einer Betonpyramide auf dem Gleiskörper in Hitzacker angekettet haben, frei zu flexen. Fritz Pothmer, Georg Jansen, Heiko Müller und Hanna Schwarz erklären ihre Beweggründe: »Wir sind auf die Schiene gegangen, um immer wieder gegen den Schwarzbau in Gorleben zu protestieren. Damit muss Schluss sein. In diesem Jahr geht es auch um die Strahlenwerte im Castorlager.«

Weitere Protestaktionen: Bis der Castortransport sein Ziel erreicht - oder umkehrt.

Reimar Paul

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