nd-aktuell.de / 30.11.2011 / Politik / Seite 6

Die LINKE muss zurück in die Erfolgsspur

Vizefraktionschef Dietmar Bartsch will sich für den Parteivorsitz bewerben - unter einer Voraussetzung

Zwei Tage nach dem Programmparteitag der LINKEN Ende Oktober in Erfurt hatte die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch angekündigt, im Juni 2012 erneut für ihr Amt zu kandidieren. Damit wollte sie nach eigener Aussage auch andere zur Kandidatur ermuntern. Fünf Wochen lang meldete sich niemand. Nun wirft DIETMAR BARTSCH seinen Hut in den Ring. Mit dem früheren Bundesgeschäftsführer und jetzigen Vizevorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag sprach JÜRGEN REENTS.
Die LINKE muss zurück in die Erfolgsspur

ND: Sogenannte »Parteikreise« haben am Montagabend über »Welt online« Ihre Kandidatur zum Parteivorsitz angekündigt. Was sagen Sie selbst?
Personalfragen sollten nicht in Hinterzimmern entschieden werden, da bin ich mit vielen einig. Deswegen befürworte ich ein Mitgliedervotum über die zukünftige Parteispitze. Dieses hat rechtlich empfehlenden Charakter, aber unser Parteitag würde einem solchen Votum sicher folgen. Wir sollten dies deutlich vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein-Wahl (6. Mai 2012) durchführen, um den Wahlkampf nicht zu belasten. Bei einem solchen Mitgliederentscheid kandidiere ich für den Parteivorsitz.

Sie knüpfen Ihre Kandidatur an diese Voraussetzung?
Es hat bislang ein unterschiedliches Echo auf den Vorschlag eines Mitgliedervotums gegeben. Mit meiner Ansage will ich diesen Weg ausdrücklich unterstützen. Die Frage, wie ich mich verhalte, wenn es kein Mitgliedervotum gibt, steht jetzt nicht.

Treten Sie als Kandidat des Reformerflügels an?
Ich kandidiere nicht für einen Flügel, sondern weil ich es für zwingend nötig halte, die Partei zusammenzuführen.

Aber Sie haben Ihre Kandidatur mit Ihren engsten politischen Freunden besprochen?
Ja.

Wenn es beim bisherigen Muster bleibt, müssten Sie sich dann eine weibliche Ko-Vorsitzende aus dem Westen wünschen, die den radikaleren Teil der Partei vertritt? Oder sehen Sie sich nach den von Gregor Gysi genannten Modell-Varianten als Zentrist, der eine zweite Zentristin an seiner Seite braucht?
Es geht nicht nach Wünschen oder vorgerasterten Modellen, auch deswegen bin ich für ein Mitgliedervotum. Im übrigen gibt es in der LINKEN eine 90-prozentige Übereinstimmung in den grundsätzlichen Fragen, das hat Erfurt gezeigt. Wir müssen zur Politik zurück, das ist die Grundlage, auf der die Mitglieder über ihre Vorsitzenden entscheiden werden. Ich gebe keine personellen Ratschläge. Wenn alle Kandidatinnen und Kandidaten sich erklärt haben, kann man über die günstigste personelle Zusammensetzung diskutieren. Und was die Frage von Zentristen betrifft: Ich war viele Jahre Bundesgeschäftsführer der Partei, da habe ich gelernt, der gesamten Partei verpflichtet zu sein. Wenn das mit Zentristen gemeint ist, bin ich einer, obgleich ich diesen Begriff nicht benutze.

Nach und nach erklären sich alle in der oberen Etage der LINKEN zur Parteimitte …
Natürlich drückt jeder die Positionen der Partei auf seine Weise aus, wirbt auch für eigene Sichtweisen. Grundsätzlich bin ich ein Gegner dieser Schubladen, in die die meisten gesteckt werden.

Mit welchen eigenen Sichtweisen oder inhaltlichen Botschaften verknüpfen Sie denn Ihre Kandidatur?
Wir haben in diesem Jahr viele unserer Wahlziele nicht erreicht. Wir verlieren an Mitgliedern. Und wir sind in wichtigen Debatten nicht präsent. Das müssen wir ändern, wir brauchen einen neuen Aufbruch. Nach meiner Vorstellung ist er vor allem mit der Rückgewinnung des Öffentlichen verbunden. Das heißt, dass lebensnotwendige Leistungen wie Energie, Wasser, Mobilität, aber auch Wohnen, Gesundheit, Bildung, Kultur und Sport öffentlich organisiert und garantiert werden müssen. Um wieder auf die Erfolgsspur zu kommen, geht es aber nicht um Bekenntnisse, sondern um harte Kärrnerarbeit, da wird es ganz irdisch. Ein scheinbar kleines Thema ist z. B. das Verbot von Parteispenden von Unternehmen, eine zentrale Demokratiefrage. Mit unserer Kampagne für den Mindestlohn haben wir bewiesen, wie man erfolgreich gesellschaftliche Mehrheiten verändern und praktische Ergebnisse erzielen kann.

Lasten Sie den Stimmungseinbruch für die LINKE und ihre mäßigen Ergebnisse bei den diesjährigen Wahlen dem jetzigen Parteivorstand an?
Als stellvertretender Fraktionsvorsitzender gehöre ich zur Führungsebene der Partei. Die Führung ist gemeinsam für Erfolge und Niederlagen verantwortlich, da nehme ich mich nicht aus. Meine Hauptkritik - also auch Selbstkritik - ist: Wir haben die Beschlüsse des Rostocker Parteitages vom Mai 2010, die LINKE für einen Politikwechsel zu stärken, nicht wirklich angepackt.

Gibt es Ihrer Ansicht nach politische Kursfehler, die zum betrüblichen Zustand der LINKEN geführt haben?
Der Hauptpunkt ist: Es gab in letzter Zeit keinen erkennbaren Kurs. Mit den Ergebnissen unseres Programmparteitages in Erfurt haben wir die Chance eines Aufbruchs. Wir haben auf die Finanzkrise, auf die zunehmende Kluft zwischen Reichtum und Armut, die soziale Ungerechtigkeit viele Antworten, waren aber nicht in der Lage, sie so zu kommunizieren, dass wir Gehör sowie mehr Mitstreiter fanden. Die LINKE muss mit ihrer Politik einladend sein, das war sie in der letzten Zeit nicht.

Eine wichtige Aufgabe des neuen Parteivorstands wird die Vorbereitung auf die nächste Bundestagswahl sein. Mit welchem Ziel würden Sie diese angehen?
Wir müssen die Eigenständigkeit der LINKEN für einen Politikwechsel voranstellen, unsere Unterschiede zu anderen betonen, für unsere eigenen politischen Vorschläge werben und uns auf dieser Basis bündnisfähig zeigen.

Wollen Sie einen Regierungswechsel und eine Regierungsbereitschaft thematisieren?
Es wäre falsch, jetzt Konstellationen zu erörtern, das führt in die Sackgasse. Natürlich: Wir wollen, dass Schwarz-Gelb abgewählt wird. Die Bilanz von Union und FDP ist katastrophal. Frau Merkel bezieht in der Eurokrise wöchentlich eine neue Position, die FDP ist halbtot. Eine Fortführung dieser Regierung wäre schlecht für das Land. Wir haben aber erlebt, dass auch rot-grüne Regierungen Fehlentscheidungen treffen können. Deswegen wiederhole ich: Die Konstellationsfrage ist für die LINKE nicht zielführend. Momentan geht es um die Profilierung unserer Eigenständigkeit.

Das klingt halblaut: Wir wollen einen Politikwechsel, aber ein Machtwechsel ist kein Thema. Sie erwarten doch nicht, dass andere Parteien den Politikwechsel bewerkstelligen, für den die LINKE eintritt?
Natürlich nicht. Aber je stärker die LINKE ist, desto mehr wird sich die Achse der Politik nach links bewegen.

Sie weichen aus. Ohne die gewollte Herausbildung eines Reformbündnisses kommt ein Politikwechsel nicht zustande.
Das ist unbestritten und Überzeugung vieler in der LINKEN. Aber die Frage, ob und wie die LINKE Bestandteil eines Regierungswechsels sein kann, lohnt heute keine Diskussion.

Warum antworten Sie so zaghaft, wenn es darum geht, Ihre Bedingungen für ein Reformbündnis zu erfahren? Sie schreiben vor zwei Wochen auf Ihrer Website: »Wir brauchen eine realistische Machtoption jenseits von Union und FDP« und erwarten für 2013 einen »Wechselwahlkampf«. Weiter: »Durchfallen wird, wer nicht im Spiel ist. Die LINKE darf nicht auf der Tribüne sitzen.«
Seit Jahren ist völlig klar, dass die LINKE auch zur Regierungsverantwortung bereit ist. Das haben wir nicht nur in Bundesländern gezeigt, dafür hat nicht zuletzt Oskar Lafontaine auch die bundespolitischen Voraussetzungen genannt. Eine der Garantien unseres Wahlerfolges 2009 war seine damalige Zusage: Wir wählen Kurt Beck sofort zum Kanzler, wenn der gesetzliche Mindestlohn durchgesetzt wird, die Rentenformel wieder hergestellt wird, Hartz IV überwunden wird und die Truppen aus Afghanistan abgezogen werden. Wir wollen mit unseren politischen Inhalten von der Tribüne zurück ins Spiel. Über alles weitere entscheidet unser Parteitag rechtzeitig vor der Bundestagswahl.

Bei der Wahl 2009 landete die LINKE zweistellig vor den Grünen, die SPD stürzte um mehr als elf Prozent ab. Die LINKE verschlief dann aber ihre Möglichkeit, eine notwendige Debatte mit eigenen Akzenten zu prägen: Wie kann sich aus der rot-rot-grünen »Zwangsvereinigung« in der Opposition eine politische Alternative zu Schwarz-Gelb entwickeln? Inzwischen müssen SPD und Grüne wenig Rücksicht auf eine geschwächte LINKE nehmen. Backen Sie deswegen kleinere Brötchen?
Unmittelbar nach der letzten Bundestagswahl war es nicht die Aufgabe, über eine zukünftige rot-rot-grüne Alternative nachzudenken. Zudem hat die SPD mögliche andere Machtoptionen - etwa in Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern - verweigert. Dieser Ball liegt weniger bei uns als bei der SPD.

Die Grünen haben auf ihrem Kieler Parteitag gerade beschlossen, den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent zu erhöhen, die SPD will dies ebenso. Halten Sie das für eine ernsthafte Einsicht, nachdem beide ihn vor Jahren von 53 auf 42 Prozent abgesenkt haben, oder ist das nur Oppositionsgeklirr?
Ich hoffe, es ist ein echter Erkenntniszuwachs. Die LINKE verfügt über ein ausgereiftes Steuerkonzept, das über die Vorschläge von SPD und Grünen hinausgeht. Beide Konkurrenten dürfen sich hier gerne - wie zuvor in anderen Bereichen, siehe Mindestlohn - für weiteres Nachdenken bedienen.

Sie haben zuvor Oskar Lafontaine ausdrücklich positiv erwähnt. Ist das Verhältnis Bartsch-Lafontaine repariert?
Was wir zu bereden haben, das bereden wir miteinander. Freundschaftlich, wie sich das für Mitglieder unserer Partei gehört.

Sie haben mit ihm auch über Ihre Kandidatur beraten?
Selbstverständlich habe ich mit ihm und anderen darüber gesprochen.