nd-aktuell.de / 09.12.2011 / Politik / Seite 3

Viel Dynamik - zu wenig Substanz

Seit einem Jahr sind Kubas Innenstädte deutlich lebendiger. Eine Visite in Santiago de Cuba

Bert Beudel
An jeder halbwegs belebten Straße stehen Verkäufer, werden Sandwiches, CDs und DVDs feil geboten und auch Handwerker offerieren ihre Dienste. Um dem wachsenden Privatsektor Kubas Perspektiven aufzuzeigen, fehlt die Umsetzung einiger längst versprochener Maßnahmen, klagen die neuen Kleinunternehmer.
Schuster Rudy Gómez Soto beklagt fehlende Großmärkte.
Schuster Rudy Gómez Soto beklagt fehlende Großmärkte.

Maribel Sánchez klopft das Schweinefleisch mit einem Stein weich. Daneben steht ihr Mann Juan Elías und schneidet Knoblauch klein, den er ins heiße Öl der Pfanne gleiten lässt. Daneben kocht der Reis und auch der Salat ist schon fertig. Jeden Tag steht das kubanische Ehepaar in der Küche. »Etwa 30 Essen kochen wir pro Tag und wir würden unser Gewerbe auch gern anmelden, ein kleines kubanisches Restaurant aufmachen, aber dafür fehlt noch das Geld«, erklärt Juan Elías Navarro. Er plant den vorderen Teil des recht baufälligen Hauses am Rande der Altstadt von Santiago de Cuba neu aufzubauen. »Ein fertiges Zinkdach mit Betonpfeilern kostet rund 8000 Peso cubano (umgerechnet 320 US-Dollar). Dazu bräuchten wir noch ein paar Säcke Zement, Pflastersteine, Kacheln, dann könnten wir loslegen«, so der passionierte Koch.

Bisher kocht er ohne Genehmigung. Seit mehr als einem Jahr, manchmal auch für größere Gruppen. Die werden an den zwei Tischen im vorderen Teil des Hauses beköstigt. »Es hat sich in der Nachbarschaft herumgesprochen und anfangs haben wir deutlich mehr Gäste gehabt als derzeit. Die Leute haben weniger Geld in der Tasche und so haben wir die Gerichte verändert und die Preise gesenkt - nun läuft es wieder besser«, berichtet der Hausherr.

Er ist längst nicht der Einzige, dem die Mittel für eine offizielle Firmengründung fehlen. »So geht es vielen Kubanern. Wir brauchten Kredite, um uns richtig selbstständig zu machen«, erklärt er. Mehrfach hat die Regierung in Havanna angekündigt, Kreditprogramme für die mehr als 300 000 Selbstständigen in Kuba aufzulegen. Doch bisher ist davon in Santiago de Cuba, ganz im Osten der Insel, noch nichts angekommen.

Das beklagt auch der Schuster Rudy Gómez Soto, der in einem Hauseingang in der Calle Santoa Tómas sitzt und Schuhe repariert. Eine alte Ledernähmaschine, die anderswo schon im Museum stehen würde, und eine Schleifmaschine sind sein ganzes Equipment. Vor 13 Jahren hat sich Rudy, heute 39 Jahre alt, selbstständig gemacht. Gemeinsam mit zwei Kollegen betreibt er das Geschäft im Kollektiv. »Unser größtes Problem ist, dass wir kaum an Arbeitsmaterialien herankommen. Leim, Sohlen, Leder sind kaum zu bekommen. Es gibt keine Großmärkte und so müssen wir alles über Beziehungen beschaffen«, erzählt er. Auch die Steuerbehörden machen es den Handwerkern nicht leicht. »Wenn die Steuern nicht pünktlich bezahlt werden, dann ist Schluss. Etwas mehr Flexibilität würde ich mir schon wünschen, denn es läuft nicht immer rund«, erklärt der Schuster. Derzeit gehen die Geschäfte gut und Schuster Rudy begrüßt die Reformen der Regierung, die im Spätsommer letzten Jahres 178 Berufe für die Freiberuflichkeit freigegeben und die Gründung von Genossenschaften erlaubt hat. Doch viele der versprochenen Maßnahmen lassen auf sich warten.

Weder ist der Ankündigung, Großmärkte für den Bedarf der Privaten zu gründen, noch sind die anvisierten Kreditprogramme auf den Weg gebracht worden, klagen viele Kleinunternehmer, die wie Rudy oft auf der Straße arbeiten. So wie der Sandwichverkäufer Manuel Gerardo López, der in der Calle San Jerónimo mit seinem Verkaufswagen steht und Brötchen mit Spanferkel, ein kubanischer Klassiker, anbietet. »Die Zutaten muss ich alle zum Einzelhandelspreis einkaufen und meine Gewinnspanne ist sehr gering. Aber ich genieße es, mein eigener Herr zu sein«, erklärt der Mann von Anfang 40.

Für die Nöte der Kleinunternehmer haben die Wissenschaftler des Forschungszentrums der kubanischen Wirtschaft (CEEC) Verständnis. »Derzeit ist die Konkurrenz hart, weil viele das Gleiche anbieten. Da werden sicherlich etliche auf der Strecke bleiben, so dass zusätzliche Optionen genauso wichtig sind wie eine breitere Infrastruktur«, so Omar Everleny Pérez, Direktor des CEEC.

Dazu gehören die Märkte, die Rudy und Manuel vermissen, aber auch die Kreditprogramme, die Juan Elias Navarro nur zu gern in Anspruch nehmen würde. Ob sie kommen, ist derzeit noch unklar. Das Finanzministerium hat erst kürzlich auf die angespannte finanzielle Lage aufmerksam gemacht.