Der sinnliche Sämann

Zwei Werke, zwei Welten - zwei Wertungen?

  • Lesedauer: 3 Min.

Darf man NS-Kunst öffentlich zeigen oder nicht, wurde unlängst in dieser Zeitung gefragt. Wie ist generell mit im NS-Reich entstandenen Werken umzugehen?

Das Bild, mit dem Otto Knöpfer (1911-93) vor 75 Jahren, am Anfang seiner Laufbahn, am meisten Furore gemacht hat, sollte später das am meisten vergessene oder verschwiegene Bild sein: »Der Sämann« von 1936. Wohl abgeschreckt von einer vermeintlichen Nazi-Nähe wurde bisher nicht gesehen, wie sich Knöpfer mit dem Bild trotz »neusachlichem« Realismus in die Spur des Vorbildes Vincent van Gogh begeben hat.

Die »Sparkasse für das vormalige Herzogtum Gotha« hatte seinen »Sämann« angekauft, den der junge Künstler zuvor auf der Wanderausstellung der National-Sozialistischen Kulturgemeinde erfolgreich präsentiert hatte. Knöpfer hielt die Nähe zum NSKG für annehmbar, weil diese anstrebte, einen der Renaissance vergleichbaren »deutschen Stil des 20. Jahrhunderts« hervorzubringen. Knöpfer fühlte sich mit jugendlicher Verstiegenheit berufen, an der Aufgabe mitzuwirken, »die deutsche Kunst wieder dahin zu bringen, wo sie einstmals war zur Zeit Dürers, Holbeins und Grünewalds«. Dies erfahren wir aus Briefen, die er damals an die Freundin Marianne in Arnstadt geschrieben hat.

Im Gegensatz zu den »neueren Künstlern«, die ihm »viel zu oberflächlich und lau« erschienen, will Knöpfer »die Natur gestalten und nicht abklatschen« (Brief, 18.7.37). So malt er den Sämann idealisiert und symbolisch. Wenn man auch eingestehen muss, dass Knöpfers »Sämann« ein Rollenbild bediente, das geeignet war, den »gesunden Bauernstand als Fundament der gesamten Nation« (Hitler) zu propagieren, so entspricht er nicht im Entferntesten dem NS-Menschenbild. Da schreitet ein junger Mann mit Zügen des Malers forsch aus, ein Bauer wie ein Wanderer. Ein sinnlicher, geistgeprägter Säer mit offenem Gesicht und klaren Augen. Van Goghs »Der Sämann bei Sonnenuntergang oder mit dem Baum« (1888) war es, der Knöpfer stark beeindruckte. Das belegen die übereinstimmenden Momente, die Sonne über dem Kopf des Säers, der Anschnitt der Figur auf Kniehöhe, die Schrittstellung und Haltung des Säenden.

Als Soldat in die Propagandamalerei eingespannt, verfluchte Knöpfer mit lebensbedrohlicher Klarheit: »Den ganzen Tag wie blöde die noch blöderen Gesichter malen. Ich will malen, was ich denke.« (Brief, 10.10.41) Von dieser Fron befreit Knöpfer die Versetzung in die Provence, wo seine Verehrung der großen Wegbereitern der Moderne kräftig auflebt, weil er in Cézannes Atelier von Aix malen und auch die Orte St. Remy und Arles besuchen darf, wo er auf van Goghs Spuren unterwegs ist.

Die Zeit der sozialistischen Gesellschaft begann für Knöpfer mit der Aufnahme expressiver Stilzüge, so dass dem Künstler der Formalismus-Vorwurf traf. Er ging 1955 auf Distanz zu den »Anregungen französischer Kollegen«. Im Spätwerk knüpfte er wieder stärker an frühe Arbeiten an.

Nach 1945 wurde der »Sämann« nicht in Ausstellungen gezeigt, nirgends abgebildet. Entgegen diesem Verschweigen und Vergessen war aber das Bild seit den 30er Jahren und über die gesamte DDR-Zeit hinweg in der Schalterhalle der Kreissparkasse Gotha zu sehen, so auch jetzt anlässlich seines 100. Geburtstages.

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