Alles nur Schein?

Scala: Don Giovanni

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich hat Stéphane Lissner, Chef der Mailänder Scala, diesmal alles richtig gemacht -, was in diesem Opernhaus, das mehr von seinem glorreichen Mythos als von seiner bedrohten Wirklichkeit lebt, fast unmöglich ist. Jedes Jahr am 7. Dezember muss Lissner nämlich eine große Opernpremiere herausbringen und die Kulisse für das gesellschaftliche Ereignis im Mutterland der Oper liefern. Neben der Opernpremiere ist die Inaugurazione stets auch der Rahmen für den großen Auftritt des Publikums. Dabei hat es durchaus eine politische Komponente, wenn das aufgetakelte Premieren-Mailand dem greisen, aber wachen Ex-Kommunisten an der Spitze des Staates, Giorgio Napolitano, spontan und herzlich, stehend applaudiert. Zusammen mit dem neuen, opernaffinen Premier Mario Monti sah die Spitze der Republik hier erfreulich unspektakulär und »normal« aus. Lissner musste weder einen drohenden Streik abwenden, noch gab es einen dramatischen Überlebens-Hilferuf vor dem Vorhang.

Dass alles aber nur Schein sein könnte, ein Spiel mit Verkleidungen und Spiegeln, mit Prospekten und falschen Perspektiven, das war das Hauptmotiv in der »Don Giovanni«-Inszenierung von Robert Carsen. Der steht eigentlich für das große Bildertheater, das man in Mailand so liebt, übertreibt es nie mit seinen Hinterfragungen, verwendet aber in der Regel so viel Grips auf seine Deutungen, dass er zur Opulenz auch eine Portion interpretierenden Hintersinn mitliefert. Doch Carsen und sein Team (Bühne: Michael Levine, Kostüme: Brigitte Reiffenstuel) verlegen sich diesmal auf ein mittlerweile wohlfeiles Theater-auf-dem-Theater- Spiel. Sie variieren im Grunde nur eine Bühnenbild- und Kostümidee und verkleinern damit ausgerechnet diese Mozart-Oper.

Als Don Giovanni bleibt Peter Mattei vom ersten Sprung auf die Bühne bis zum lässigen Abschiedsblick des nach seinem Theatertod wiederauferstandenen Spielmachers seiner eigenen Lust der eher eindimensionale, gar nicht unsympathische Lebemann - trotz der Donnerworte des Komturs Kwangchul Youn vom Balkon aus. Und ganz gleich, wie viele Striche sein handfest proletarischer Bühnenarbeiter-Leporello Bryn Terfel da noch auf den Rückseiten der fünf Kulissenwände anbringt. Wände, die das permanente Spiel von Täuschung und Schein einrahmen.

Anna Netrebko, die gerade der Dresner Semperoper fürs Sylvesterkonzert mit Thielemann abgesagt hat, ist hier die Donna Anna. Mehr als gut sieht sie aus, und sie singt mit dramatischem Format. Anna Prohaska und Stefan Kovac liefern ein überzeugendes Paar Zerlina und Masetto ab, Barbara Frittoli findet schnell zu überzeugender Donna-Elvira-Form. Und Daniel Barenboim? Der hält das Ganze im Graben souverän und ohne experimentelle Risiken oder interpretatorische Hakenschläge musikalisch zusammen.

So kann Stéphane Lissner diesen »Don Giovanni« wohl als Erfolg für sein Haus verbuchen. Neu erfunden worden ist die Oper der Oper in Mailand diesmal aber nicht.

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