nd-aktuell.de / 13.12.2011 / Brandenburg / Seite 11

Humanismus ohne Gott?

An Berliner Schulen ist Lebenskunde sehr gefragt

Andreas Heinz
Werner Schultz ist Abteilungsleiter des Bereichs Bildung beim Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg.
Werner Schultz ist Abteilungsleiter des Bereichs Bildung beim Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg.

nd: Knapp 52 000 Schülerinnen und Schüler wählten im aktuellen Schuljahr in Berlin den humanistischen Lebenskundeunterricht. Ihren Angaben zufolge sind das 2000 mehr als im Schuljahr 2010/11. Worauf führen Sie diesen Zulauf zurück?
Schultz: Das sind die Angaben des Schulsenats, die stimmen mit unseren überein. Es ist so, dass wir einen viel größeren Zulauf haben könnten, wenn wir genügend Lehrkräfte ausbilden könnten. In Berlin gibt es einen sehr großen Bedarf an Humanistischer Lebenskunde.

Der Hintergrund ist einfach: Etwa zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner sind konfessionslos und haben natürlich damit ein Interesse, für ihre Kinder ein gleichwertiges Angebot zu bekommen wie die Kinder im Religionsunterricht von den Kirchen. Und dieses Angebot in Berlin organisiert der Humanistische Verband mit seiner Humanistischen Lebenskunde.

Ab welchem Schülerjahrgang wird Lebenskunde angeboten?
Lebenskunde wird ab der ersten Klasse und für alle Jahrgänge angeboten angeboten. Wir müssen aber eingestehen, dass der Großteil des Unterrichts in den ersten acht Schuljahren stattfindet. Es geht uns ähnlich wie den Kirchen. Wenn die Schülerinnen und Schüler religionsmündig sind, ist die Alternative einer Freistunde sehr groß. Umso mehr freuen wir uns darüber, dass einige tausend Schüler auch in der Oberschule am Lebenskundeunterricht teilnehmen.

Diese haben dann oft ein besonderes philosophisches Interesse, haben Interesse am Humanismus und möchten über diese Fragen gemeinsam diskutieren.

Verzeichnet die evangelische Kirche in Berlin einen Rückgang bei den Schülerzahlen?
Laut evangelischem Pressedienst ist es nur ein geringer Rückgang. Man kann eher sagen, die Kirchen haben ihre Schülerzahlen gehalten. Interessant ist, dass in der Oberschule kein nennenswerter Rückgang zu verzeichnen ist, weil ja die Kirche lange Zeit in der Auseinandersetzung um die Volksabstimmung »pro Reli« gesagt hat: »Wenn der gemeinsame Ethikunterricht kommt, wird der Religionsunterricht zurückgehen.« Das ist, wie wir sehen, nicht der Fall.

Was wird im Lebenskundeunterricht gelehrt?
Die Schülerinnen und Schüler lernen, darüber nachzudenken: »Was kann für mich der Sinn des Lebens sein?« Wir haben weltanschauliche Grundlagen, die für uns zentral sind. Das ist einmal eine Erklärung der Welt und des Lebens ohne religiöse Überhöhung, ohne einen Gott. Wir sagen: Alle diese Ideen sind von Menschen geschaffen worden, von Menschen verändert worden und können auch so interpretiert werden.

Seit wann gibt es das Fach Lebenskunde überhaupt?
Das gibt es schon seit 1920, ist dann sofort von den Faschisten 1933 verboten worden. Einen Neuanfang gab es dann wieder 1984. In Berlin war das übrigens die damalige CDU-Schulsenatorin Hanna-Renate Laurien. Sie sagte: es ist besser, die Schüler gehen zur Lebenskunde statt sich vom Religionsunterricht abzumelden und in die Eisdiele zu gehen. Es war der Versuch, den Religionsunterricht durch die Alternative Lebenskunde zu stärken. Damals hat man noch nicht damit gerechnet, dass wir jetzt bei über 50 000 Schülern sind und für die Zukunft noch eine große Wachstumschance haben.

Fragen: Andreas Heinz