Zweiter Anlauf

Moncef Marzouki sollte gestern zum Interimspräsidenten Tunesiens gewählt werden

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Viele der heute in Staatsverantwortung stehenden Tunesier haben eine Zeit im Gefängnis verbracht, verurteilt aus politischen Gründen und ohne dass sie gegen geltende Gesetze verstoßen hatten. So erging es auch Moncef Marzouki. Sein »Vergehen« bestand darin, dass er bei der Präsidentschaftswahl von 1994 als einziger gegen den amtierenden Staatschef antreten wollte.

Jener, Ben Ali, hatte sich 1987 an die Macht geputscht, und sah überhaupt keine Notwendigkeit, sich der Mühe einer Wahl zu unterziehen. Polizei, Geheimdienst (dessen Chef er einst war) und Justiz waren ihm treu ergeben, und so ließ er Marzouki einfach für vier Monate ins Gefängnis verfrachten. Marzouki war zu jener Zeit in seinem Umfeld als Arzt wie als unerschrockener Bürger eine geachtete Person, dennoch landesweit so gut wie unbekannt und wäre wohl auch deshalb chancenlos gegen Ben Ali gewesen.

Doch der Westen schwieg, die sonstigen Demokratiewächter lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Gunst Ben Alis, und so konnte dieser nicht nur jene wie auch alle folgenden Wahlen bis 2009 geräuschlos manipulieren, sondern erhielt auch noch kräftiges Lob als vermeintlich demokratischer Fels in der islamistischen Brandung zwischen Algerien und Libyen. Als Marzouki 2001 nach der Gründung eines »Kongresses für die Republik« (CPR) und dessen sofortigem Verbot erneut die Verurteilung zu einer Haftstrafe drohte, zog er es vor, ins Exil nach Frankreich zu gehen. Von dort kehrte er im Januar nach Ben Alis Flucht nach Saudi-Arabien als erster namhafter Oppositioneller zurück.

Bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung in diesem Herbst wurde die CPR zweitstärkste Kraft, nicht zuletzt dank Marzouki, inzwischen längst eine landesweit bekannte Autorität. Nun wird er mit 66 Jahren - im zweiten Anlauf nach 1994 - zumindest interimistischer Präsident seines Landes. Inzwischen ist er ein von Hillary Clinton, Alain Juppé und Guido Westerwelle umworbener Gesprächspartner, allerdings ein schwieriger: Der Mann ist offenbar noch immer unbestechlich.

Roland Etzel

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