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Einschüchtern per Telefon

Erste Klage zu »Handygate« vom 19. Februar in Dresden

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Die flächendeckende Abfrage von Telefondaten während der Anti-Nazi-Demo am 19. Februar in Dresden wird ein Fall für das Gericht. Zwei Linksabgeordnete reichten Klage ein.

Im Dezember 2005 wurde in Magdeburg eine Bank überfallen. Um die bewaffneten Täter ausfindig machen zu können, beantragte die Staatsanwaltschaft eine »Funkzellenabfrage«: Für den Zeitraum einer Stunde sollte geprüft werden dürfen, wer im fraglichen Gebiet mit wem per Handy telefonierte. Das Landgericht in Magdeburg lehnte den Antrag ab. An einem Vormittag in einer Großstadt, hieß es zur Begründung, würden zu viele Unbeteiligte erfasst.

Den Magdeburger Fall zitiert der Dresdner Rechtsanwalt André Schollbach in zwei Klageschriften, die er gestern beim Amtsgericht in der sächsischen Landeshauptstadt einreichte. Im Namen zweier Politiker der LINKEN, des Landesparteichefs Rico Gebhardt sowie des Landtagsabgeordneten Falk Neubert, richten sie sich gegen die Abfrage einer Mobilfunkzelle am 19. Februar in Dresden. Sie währte nicht eine, sondern zwölf Stunden und betraf ein Gebiet in der Südvorstadt, in dem Zehntausende Menschen wohnen und an jenem Tag weitere Zigtausende gegen einen Naziaufmarsch protestierten.

Allein die Relation zwischen der untersagten Magdeburger und der von einem Richter genehmigten Dresdner Abfrage belegt laut Schollbach, dass die von der dortigen Staatsanwaltschaft beantragte Aktion völlig unangemessen war. Bei Gericht soll nun deren Rechtswidrigkeit festgestellt werden. Schollbach spricht von einem »Pilotverfahren«, dem viele weitere folgen könnten. Bei der Abfrage waren schließlich mehr als eine Million Verbindungsdaten von 320 000 Telefonen erhoben worden, denen seither etwa 55 000 Handybesitzer namentlich zugeordnet wurden.

Im Visier der Ermittler waren bei der damaligen Funkzellenabfrage offenkundig offiziell nur wenige Personen: Zur Begründung der Abfrage wurde von den Staatsanwälten auf einen Übergriff von Linken auf Rechte im Sommer 2010 und darauf gestützte Untersuchungen gegen eine angebliche kriminelle Vereinigung verwiesen. Dafür, sagt Gebhardt, hätte freilich die Abfrage der konkreten Telefonnummern von Beschuldigten gereicht. Stattdessen wurden Daten flächendeckend und unterschiedslos erfasst - auch, wenn sie von Abgeordneten oder Journalisten und damit beruflichen Geheimnisträgern stammten.

Diese Erfassung von Daten, die bisher verweigerten Auskünfte dazu und die bislang ebenfalls unterbliebene Löschung hätten einen fatalen »Einschüchterungseffekt« zur Folge, sagt Neubert. Es komme zu einer »Kriminalisierung des zivilgesellschaftlichen Protestes gegen Nazis«. Die Konsequenz könne sein, dass betroffene Bürger »künftig nicht mehr am Protest teilnehmen«. Mit der Klage soll daher nicht zuletzt klargestellt werden, dass friedliche Demonstranten keine Straftäter seien. Allerdings gehen Beobachter nicht davon aus, dass ein solches Signal rechtzeitig zum 13. Februar 2012 erfolgt - auch wenn nach Schollbachs Worten die Rechtslage eindeutig sei und »eine Entscheidung schnell erlassen werden könnte«.

Justiz und Innenminister verteidigten die Abfrage bisher damit, dass so auch jene ermittelt werden könnten, die Steine auf Polizisten warfen oder Barrikaden anzündeten. Dazu, merkt Schollbach an, sei die Telefonabfrage indes nicht nötig. An jenem Tag seien in der Südvorstadt an zehn Stellen Videoaufnahmen angefertigt worden; eine Drohne wurde eingesetzt; in 2500 Fällen stellten Polizisten die Identität von Demonstranten fest. Vorige Woche wurde der erste Steinewerfer von einem Dresdner Gericht verurteilt. Seine Handydaten spielten keine Rolle.

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