Brücken legen sich aufs Meer

Albert Ostermaiers Lyrik: »Autokino«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.
Den Wind nach einem Taschentuch fragen. Das Licht ausschalten - um einander zu sehen. Natürlich: Flugpläne in der Manteltasche. Aber auch: ein Mückenstich in einer Kniekehle ...
Diese Gedichte sind kühle, moderne Jetztwelt-Beobachtung und zugleich romantische Imagination, erlebt in Trancezuständen. Man hört Herzen bis in die Augen schlagen; jemand übernimmt die Mehrheit der Gedanken eines anderen (»feindliche übernahme«); der Winter packt seine Feuerlöscher aus, »ich muss die/ bäume vor meinem fenster nicht mehr/ brennen sehen«. Zwischen zwei Menschen Berührungen nur noch in der Küche, »wenn sie gleichzeitig/ in der spüle ihre zigaretten/ ausdrückten«. Die Sonne ein Untergang, bei dem »der horizont seine blutkonserven für sie aufreisst und mir dabei die augen/ vollspritzt«.
In Albert Ostermaiers Lyrik gleiten Texte wie Autos über einen Highway. Oder wie Filme über eine vom Wind leicht in Schwingung gebrachte Leinwand - hinter der Stadt, wo »aus den wolkenbrausen das/ chlor in regentropfen vom/ himmel fällt bis der wind den/ strom abstellt und die brücken/ sich aufs meer legen«.
Autokino. Der vierte Band des Autors bei Suhrkamp. Der Ort, an dem eine reale Fort-Bewegung an ihr Ende kommt, und Menschen sich einer fiktiven, der filmischen Bewegung hingeben, die Raum und Zeit neu definiert.
Aber: Auto-Kino auch als Lebenskunst, bei der Szenen des eigenen Lebens erfunden, inszeniert, geschnitten, präsentiert werden. Die Suggestion des Autos - und Autosuggestion. Verse über den Film vor den Augen - und über den Film hinter den kalten Durchblicken unseres rationalen Zeitalters. Das ein Überangebot liefert an falschen Einschätzungen der wahren Menschenlage.
Unter vielen Schichten einer zumeist nur noch künstlich stimulierten Wahrnehmungsmotorik aus Anrufbeantwortern, Bar-Geräuschen, spuckenden Cola-Automaten und Eiswürfeln, die die Köpfe aneinanderschlagen, ist im Werk des 1967 Geborenen das Vorzeithafte anzutreffen - Mitleid und Leidenschaft, Trauer und Liebe. In ihrer Fähigkeit, die heutige, scheinbar aufgeklärte Gefühlswelt auf den Grund ihrer Dunkelheit zu setzen, sind diese Gedichte im wahrhaften Sinne schön, rau, melancholisch. Kino eben, und das Glück hat »französische/ untertitel und der atlantik passt/ in ein rotweinglas in der hand/ eines freundes der deine träume/ neu besetzt /.../ und du willst nicht mehr mit/ schuhen auf die strasse zurück«.
Diese Lyrik ist Reflex auf einen Zerfall an Identitäten (»als lägst du zerstückelt neben deiner/ fernbedienung auf der autobahn bis/ die werbung den dreck wegwischt«), sie ist Einwurf gegen eine durchamerikanisierte Wirklichkeit, in deren Kaltfronten jedermann zuhause ist und doch gleichzeitig evakuiert bleibt (»die zukunft ist zum abgewöhnen«). Ostermaiers Entlegenheitsgedichte - die auf »eine rote couch aus lederimitat« führen, in »eine welt in stereo« oder on tour bis Tortuga - begreifen sich aber nicht als Flucht, sondern empfangen den Schlag des unerwarteten Sinns mitten auf der Lichtung des Allgemeinen. Das poetische Abirren in die Suche nach Wärme erfolgt nicht als Verweigerung von Welt, sondern als deren frostig-freche Inbesitznahme.
Eine Musikalität teilt sich mit, die an den Lustschrei einer Elektrogitarre erinnert. Jedes Gedicht: eine atmosphärische Erfahrung von Momenten, in denen es dem Menschen nicht gelingt, sich selbst zu hintergehen, die ihn also nötigen, für Augenblicke aus jener modernen Rolle zu fallen, die man den Einberufungsbefehl zu einem unbedingten öffentlich-funktionalen Verhalten nennen könnte.
»ihn fror nicht er hoffte dass ihn eine/dünne schicht eis überziehn würde/ wenn er nur lange genug wartete/ vielleicht kämen sie dann und/ schlügen ein loch zwischen seine/ schultern eine rose die man in/ flüssige luft taucht«: Diese Gedichte protokollieren nicht eine umfassende Sehnsucht nach erfüllbarem Leben, das stets nur anderswo zu vermuten ist. Nein, Ostermeier nimmt Leere hin zwischen dem »fernsehabend« und jeder anderen »endlosschleife«. Aber im Moment des Loslassens wird ihm ein Blick zuteil, der ihn die Welt neu sehen lässt: nicht als Ordnung, aus der er ausgeschlossen ist, sondern als Gefüge von Formen, Farben und Gestalten, das es zu deuten gilt. Böse Ironie freilich fragt »was soll die ganze fron/ authentisch zu sein ... raub/ dir die kopie von meiner/ dns und es ist schluss mit/dem stress wir leben im/ überfluss schaff dir ein/ kühlhaus voller identitäten«.
Was trotzdem bleibt: Traurigkeit in solchen Stunden hinterm Cocktail im Plastikbecher. Das müde Selbst mancher Gedichte gibt sich der Schwelgerei der Austauschbarkeit hin - als hätte Edward Hopper diesem Albert Ostermaier zugewunken, »stille die letzte flasche fällt zu/ boden zeit zu gehen«.
Ein Wort, das gern auftaucht bei diesem Dichter: Benzin. Schon Heiner Müller setzte gegen die Diktatur der aseptischen Müsli-Fresser den schmutzigen Wunsch, zum Frühstück »Benzin zu saufen«. Und zu Tarkowskis Film »Stalker« hat Ostermaier einmal geschrieben, über die Banalität der Bilder habe der Regisseur einen »Benzinfilm gezogen. Ein Streichholz, und die Netzhaut beginnt zu brennen.« Auch »Autokino« preist das heilige, heilende Gift. Den Einstieg in die Fort-Bewegung. Die Droge, die nach Entfernung riecht, aber: ein Stoff, immer in der Nähe der Explosion.
»ein gedicht beginnt in der lobby/ eines hotels«. So beginnt auch dieses Buch, und es endet mit einem »licht in der ferne/zwei bullige scheinwerfer uns/ entgegenkommend«. Dazwischen Asphaltwege, darauf »der teer sich selbst umarmt gegen/ die kälte der nacht«. Die Schlaglöcher »kauen in aller ruhe reifengummi«, und im »geruch des diesels« die Wahrheit: »die dinge die du im seitenspiegel/ siehst sind näher als du glaubst«.
»jetzt gas geben/ für einen moment fliegen«: Plötzlich sind Ostermaiers Gedichte wie Signale aus einem Raumschiff, mit dem wir virtuelle Produkte uns selber umkreisen wie einen alten, langsam verlöschenden Stern.


Albert Ostermaier: Autokino. Gedichte. Mit Audio-CD, gesprochen vom Autor. Suhrkamp Verlag Frankfurt (Main). 108 Seiten, geb., 20,80 Euro.


Morgen im ND:
»Diese Sehnsucht, angreifbar zu sein« ein Interview mit Albert Ostermaier.

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