nd-aktuell.de / 28.12.2011 / Kultur / Seite 13

Schön! Schön? Na schön.

Was ist schön? Wer ist schön? Gibt es in dieser Frage Wahrheit? Bei »Schneewittchen« ist es ein Spiegel, der seine Unbestechlichkeit bravourös durchhält, stets nah am Scherbengericht. Dresdens »Sixtinische« ist nun den Werbeleuten zum Euphorie-Opfer gefallen: die schönste Frau der Welt. Was ist mit Mona Lisa? Was mit Adele Sandrock? (In Fragen des Geschmacks kommt man um den Kitzel der Geschmacklosigkeit nicht herum.)

Es gibt die Beschwörung der inneren Werte, die immer dort laut wird, wo es zur Schönheit nicht reicht. Das ist ungerecht, Schönheit ist nicht alles. So kann man es den Antilopen wohl nachsehen, dass sie kaum einen Blick haben für die Schönheit der Löwen.

Ist Schönheit gleich Erhabenheit? Etwas, zu dem man aufschaut? Wie in Kathedralen? Kathedralen ragen empor, als rissen sie einen imaginären Himmelsbeginn auf. In Kathedralen knien die Menschen - denn: Man muss sich schon gehörig klein machen, um sich selber näher zu kommen. Vielleicht nannte man Greta Garbo deshalb die Göttliche. Weil’s ihr erging, wie es Gott sei jeher ergeht: optisches Esparanto zu sein - von niemandem erfassbar, aber von jedem verwendbar. Das Bild derart vollendet, dass sich jedes Begehren geradezu verbietet. Unerotik pur. Denn es gibt offenbar eine Schönheit, die ist so perfekt, dass individuelle Merkmale von jedem Betrachter erst hinzugefügt werden müssen Das hat etwas Ermüdendes, Unsinnliches, und so schärfte sich die Wahrheit, dass wahre Schönheit stets die Feier des winzigen, unverwechselbaren Makels ist.

Die Garbo aber war makellos, eine Kunstgestalt. Sie war nicht »Die Frau mit den zwei Gesichtern« (so der Titel ihres letzten Filmes), sondern die sanfteste Dämonin einer faszinierenden Gesichtslosigkeit. In deren atemberaubendes Ebenmaß jeder die Abenteuer des eigenen Lebens hineinträumen durfte. Gott wird verübelt, dass er dem Schmutz der Welt nicht Einhalt gebietet. Die lebensferne Schönheit einer Göttlichen wie der G. ist Widerstand gegen diesen Schmutz. Sie hat es leichter als Gott. Er ist nur ewig, sie unsterblich. Wie die Madonna in Dresden. hds