In offenen Zelten mit weitem Blick

1000 Organisationen beim alternativen Genoa Social Forum/Mehreren Referenten Einreise verweigert

  • Gerhard Klas, Genua
  • Lesedauer: 5 Min.
In offenen Zelten mit weitem Blick auf das Mittelmeer haben sich die G8-Kritiker zum Gegengipfel zusammengefunden. Veranstalter ist das Genoa Social Forum, ein Zusammenschluss aus mehr als tausend italienischen und internationalen Organisationen.

Das auf Provokation angelegte Agieren der Sicherheitskräfte gegen den G8-Widerstand reicht bis in das weitab vom Genueser Zentrum gelegene Zeltdorf am Punta Vagno hinein. Mehreren Referenten, darunter viele, die sich in den vergangenen Jahren einen Namen als Kritiker der kapitalistischen Globalisierung gemacht hatten, sollte die Einreise verwehrt werden. Darunter auch José Bové. Erst nachdem das Social Forum mit Hilfe einiger Abgeordneter des Europäischen Parlaments intervenierte, erhielt der französische Bauernführer eine Einreisegenehmigung.
Ebenso traf es den nigerianischen Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivisten Oronto Douglas, der auf Betreiben der italienischen Regierung schon bei seiner Ankunft in Europa zurückgewiesen wurde. Die niederländischen Behörden teilten Douglas bei seiner Zwischenstation in Amsterdam mit, er sei nicht im Besitz einer ausreichenden Geldsumme, um nach Italien zu reisen. Dabei hatte er ein Begleitschreiben einer bekannten Organisation bei sich, das die Übernahme der Aufenthalts- und Reisekosten garantierte. Douglas war schon vor zwei Jahren in Italien gewesen, um die menschenrechtswidrige Politik des italienischen Ölmultis AGIP in Nigeria anzuprangern.
Dennoch behält der Gegengipfel seinen offenen und kritischen Charakter. Vor allem die Alternativen zur weltweiten Finanz- und Handelspolitik stehen im Mittelpunkt und sollen nicht »ungehört bleiben«, so die Veranstalter. Mehrere hundert Zuhörer zählen die einzelnen Foren, die sich vor allem mit Bewegungen aus dem Süden und deren Widerstandserfahrungen beschäftigen. Dass die bestehende Weltwirtschaftsordnung für Armut, Krieg und Hunger verantwortlich ist, stellt auf der Konferenz niemand in Frage.
Ein neuer Ansatz ist die Forderung nach einem Ausgleich für die ökologischen Schulden. Dabei geht es nicht nur um die gegenwärtige Zerstörung des »indonesischen Urwalds, der einer der größten Waldressourcen darstellt«, so Titi Soentoro, Vertreterin einer indonesischen Umweltorganisation. Der Ansatz hat auch eine historische Dimension und umfasst ökologische Probleme wie die monokulturelle Landwirtschaft. Diese auf den Export orientierte Produktionsweise ist eine Auswirkung der IWF-Strukturanpassungsprogramme, die ebenso wie die Ausplünderung der Ressourcen seit der Kolonialisierung durch den Norden »ausreichend Gründe liefert, die Schulden des Südens sofort abzuschreiben«, erklärte ein Vertreter des internationalen Jubilee South Netzwerkes.
Zu den etwas betagteren Kampagnen zählt mittlerweile die zur Einführung der Tobin-Steuer. Die Forderung nach einer Besteuerung der internationalen Transaktionen auf den Finanzmärkten, die auf der Konferenz bekräftigt wurde, zählt nunmehr zahlreiche Unterstützer. Unter anderem setzen sich Abgeordnete verschiedener europäischer Parlamente und des Europaparlaments für ihre Einführung ein. Erstmals sahen sich auch die Finanzminister der sieben reichsten Industrienationen auf einem Vortreffen Anfang Juli genötigt, diese Steuer in ihren Bericht für den Genua-Gipfel aufzunehmen. Allerdings lassen sie keinen Zweifel daran, dass sie die Tobin-Tax für ein ungeeignetes Mittel halten, weil diese zu einer »zusätzlichen Instabilität des internationalen Finanzsystems führen würde«.
Im Blickpunkt des Gegengipfels steht auch das für November angesetzte Ministertreffen der Welthandelsorganisation (WTO). Walden Bello, Direktor der internationalen Nichtregierungsorganisation Focus on the Global South mit Sitz in Thailand, bezog sich positiv auf die Verweigerungshaltung vieler Regierungen in den südlichen Ländern im Hinblick auf eine neue Verhandlungsrunde der WTO, die eine weitere Liberalisierung des Weltmarktes anstrebt. Dafür sei allerdings »die massive Unterstützung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden nötig«, erklärte der Wirtschaftswissenschaftler. Vor allem einige Nichtregierungsorganisationen (NRO) aus dem Norden würden jedoch dem Druck ihrer Regierungen nach- und diese Position aufgeben. »Einige behaupten, die WTO sei die einzige Institution, die zwischen Ordnung und Chaos stehe, dass der Süden Konzessionen eingehen müsse (...) und dass Handel gut für die Armen sei«, kritisiert Bello. Er fordert grundsätzliche Veränderungen, weil die ungleichen Kräfteverhältnisse in der WTO zu tief verwurzelt seien.
Auf einem Gewerkschaftsforum im Rahmen des Gegengipfels stand das IG-Metall-Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner mit seiner moderaten Kritik weit hinter den Positionen seiner europäischen Kollegen auf dem Podium zurück. Vor allem die italienischen Gewerkschaftsvertreter zogen ein negatives Resümee aus den Erfahrungen der Zusammenarbeit mit der bis vor kurzem amtierenden Mitte-Links-Regierung. Sie wollen sich künftig wieder auf ihre Unabhängigkeit besinnen und »Sprachrohr der abhängig Beschäftigten« werden. Die Globalisierung, betonten sie, sei auch ein »zentrales Thema der Gewerkschaften«.
Am Sonntag will das Genoa Social Forum sowohl den Gegen- als auch den offiziellen Gipfel bewerten und zugleich Anstoß für künftige Aktionen geben.


Genua-Websites

Das Medium der Globalisierung ist das Internet. Mit ihm lassen sich zu Genua unzählige Informationen beschaffen. Voraussetzung: Internet-Zugang. Für die Leser und Leserinnen, die ihn haben, nachfolgend einige ausgewählte Adressen:

http://www.genoa-g8.org
informiert über Agenda und Programm des vom Genoa Social Forum veranstalteten Gegengipfels.

http://www.indymedia.org
Das internationale Nachrichtennetzwerk unabhängiger und alternativer Medien, MedienmacherInnen und Gruppen ist Teil und Sprachrohr der Grassrootsbewegung, die eine Globalisierung von unten anstrebt.

http://www.attac-netzwerk.de
Die Internetseite von Attac Deutschland informiert aktuell über die Geschehnisse in Genua, Kontaktadressen und vieles andere mehr. Attac ist eine internationale Bewegung, die bisher in 30 Ländern aktiv ist und sich gegen die neoliberale Globalisierung wendet.

http://www.weedbonn.org
Die Website der Nichtregierungsorganisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung bietet eine Sonderseite und Hintergrundpapiere zu Genua.

http://www.linkXXnet.de
die Seite der PDS-Sachsen, bietet auch einen Telefonkontakt nach Genua.

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