nd-aktuell.de / 03.01.2012 / Kultur / Seite 15

Sprachalarm gegen »Fetzen«

Sind SMS Unkultur?

Irmtraud Gutschke

Dem Chef des deutschen Rechtschreibrates, Hans Zehetmair, sind SMS und Twitter ein Dorn im Auge, verlautbarte er über dpa. Nun, der Mann ist Jahrgang 1936, CSU-Politiker und als langjähriger Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, gelinde gesagt, nicht so sehr mit der Zeit gegangen. Während seiner Amtszeit soll, kaum zu glauben, in bayerischen Biologiebüchern der Aspekt »Zeugung« gestrichen worden sein, Darstellungen nackter Menschen seien verboten gewesen. Und seine Aussagen zum Thema Homosexualität mag man kaum glauben. Von ihm, könnte man denken, sei auch nichts anderes zu erwarten als in diesem dpa-Interview: Ein Konservativer beklagt sich über Neuerungen, die er indes nicht aufhalten kann.

Ist es schlimm, wenn jemand per SMS »HDL« schreibt, statt »Hab Dich Lieb«? Eigentlich nicht, wenn er den Satz noch aussprechen kann. Zehetmair schlägt Sprachalarm gegen die »Fetzenliteratur« per SMS oder Twitter. Selbst Hochschullehrer beklagten immer wieder die mangelhafte sprachliche Qualität von Diplom-, Magister- oder Bachelorarbeiten. »Man nimmt sich kaum noch die Zeit, ganze Sätze zu formulieren.« - Sprachliche Fähigkeiten seien verloren gegangen? Niedergang zu beklagen, macht sich öffentlich immer gut. Andersherum wird ein Schuh draus: Kulturtechniken wie Lesen oder Schreiben sind zu erlernen.

Nach Angaben von Linguisten, müssten 20 Prozent der 15-Jährigen heute als Analphabeten bezeichnet werden, moniert Zehetmair. Wenn das stimmt, darf man dafür aber nicht Computern oder Handys die Schuld geben, sondern einem Bildungssystem, das zwar Angebote macht, aber kaum mehr dafür zuständig ist, wenn diese nicht angenommen werden. Förderung jedes einzelnen würde einen Aufwand verlangen, den sich diese Gesellschaft nicht leistet.

Die Wirtschaft braucht Leute mit Computerkenntnissen, die sich auch schriftlich einigermaßen verständigen können. Sie müssen nicht Dostojewski oder Proust interpretieren können. An das frühbürgerliche Ideal, mittels Bildung Standesunterschiede aufzuheben, wird nur noch pro forma erinnert. Der Manager liest die »FAZ«, der Arbeiter »Bild«. Na und? Vor diesem Hintergrund hat Zehetmair Recht, dass Bildung und Sprachkompetenz zusammenhängen. Wo Kommunikation oberflächlich wird, man nicht mehr hinter die Dinge blickt, besteht die Gefahr der Manipulation.