nd-aktuell.de / 07.01.2012 / Kultur / Seite 26

Unter Einfluss der Lobbyisten

MEDIENgedanken: Wirtschaft, Politik und Journalismus

Thomas Klatt

In der Causa Wulff feiert sich derzeit die Medienelite im Land gerne als unabhängige, neutrale Instanz, die den Mächtigen mächtig Dampf macht. Doch wie unabhängig ist die Vierte Macht im Staat wirklich? Oder, anders formuliert: Wie unabhängig sind die Medien von politischen, vor allem aber wirtschaftlichen Einflüsterungen? Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg zu Fall zu bringen, ist das eine, den Versuchungen von Lobby-Verbänden zu widerstehen, das andere. Man muss gar nicht lange suchen, um auf die Beeinflussung von Autoren und Reportern in Zeitungen und Magazinen zu stoßen. So gab es zum Beispiel Anzeigen der Geflügelwirtschaft im Deutschen Journalisten-Verbandsblatt »Journalist«, die die Behauptung widerlegen sollten, dass Masthühner permanent mit Antibiotika behandelt werden. Weitere Infos sollten sich die Journalisten unter Geflügel.tv ansehen.

Solche plumpen Einflussnahmen auf journalistische Arbeit sind dabei noch relativ leicht zu durchschauen. Viel diffiziler sind dagegen die Einflussversuche von vorgeblich neutralen Instanzen. So versucht die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM) weiterhin auf allen möglichen Kanälen ihre neoliberalen Botschaften zu verbreiten. So steckt hinter der Webseite »Wirtschaft und Schule« die INSM. Junge Menschen sollen hier auf pseudowissenschaftlicher Ebene auf den Turbokapitalismus eingepegelt werden. Botschaft: Zeitarbeit boomt, Mindestlöhne und verlässliche Tarifverträge behindern den Aufschwung! Welcher Lehrer fragt schon genauer nach, woher er das tolle, weil kostenlose Unterrichtsmaterial stammt? Aber es ist auch nicht unbedingt damit zu rechnen, dass Wirtschaftsjournalisten mit solchen Seiten kritisch umgehen werden. Das Problem ist eben, dass viele Journalisten sich nur allzu schnell auf Expertisen und Experten verlassen, ohne sie zu hinterfragen.

Auch die sogenannte »Dialog-Expertin« Kerstin Plehwe taucht immer wieder in Talk Shows auf. Aber anstatt nachzufragen, was denn nun bitte schön eine Expertin für Dialog sein soll, darf die Vorsitzende der »Initiative ProDialog« ihre Monologe vortragen, ohne dass Journalisten nach der Motivation ihres Engagements fragen. Hinter der sogenannten Initiative steckt nach Informationen u.a. von »Lobby Control« die Deutsche Post, die über Kerstin Plehwe Marketing betreibt. Nur wenige Journalisten haben bislang dem Aufmerksamkeit geschenkt. Nicht wenige Redakteure lassen sich gerne einlullen und sind mit einfach zu verstehenden Antworten und Geschichten schnell zufrieden zu stellen.

Aus eigener Anschauung ein weiteres Beispiel: Hinter der Aktion »Weihnachten im Schuhkarton« steckt eine evangelikale Missionsbewegung, die auch in islamischen Ländern aktiv ist und dadurch nicht unerheblich Unfrieden stiftet, sagen zumindest nicht wenige Kritiker aus der Entwicklungspolitik. Aber die allermeisten Redaktionen in Deutschland sind an einer kritischen Berichterstattung über dieses christliche Gutmenschentum gar nicht interessiert. Armen Kindern etwas Gutes zukommen zu lassen, wer hat denn da was dagegen? Ganze Redaktionen nehmen sogar gerne an den Geschenkeaktionen der Evangelikalen teil.

Aber es gibt auch mutmachende Beispiele journalistischer Sorgfalt. FAZ und FAS (»Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«) wurden Ende 2011 von der Journalistenorganisation »Netzwerk Recherche« ausgezeichnet, weil sie im Fall Guttenberg standhaft blieben, zu einer Zeit, als Kollegen reihenweise umfielen und den smarten Jungpolitiker einfach unwiderstehlich fanden. An der Uni Dortmund betreiben Studenten das kritische Portal medien-doktor.de. Hier wird die Qualität medizin-journalistischer Beiträge in Publikums-Medien kritisch geprüft. So werden zum Beispiel Artikel und Meldungen über mögliche neue Alzheimer-Früherkennungstests hinterfragt. Oder es wird aufgezeigt, wenn ganz normale Alterserscheinungen wie Haarausfall oder Faltenbildung plötzlich zum medizinischen Themenfeld erklärt werden.

Der Berliner Journalist Thomas Wiegold arbeitete einst beim Magazin »Focus«. Nach Dissens mit der Redaktion betreibt der Fachautor für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik heute seinen eigenen Blog augengeradeaus.de. Er will die Bundeswehr nicht auflösen, aber kritisch über sie berichten. Zu hören sind etwa Audiodokumente von Bundeswehr-Pressekonferenzen, die man sonst nirgendwo im Radio zu hören bekommt. Sein Blog hat mittlerweile 10 000 bis 20 000 Besucher pro Tag, er wird also gelesen. Leben kann Wiegold davon allerdings noch nicht. Über seinen Blog hat er sich aber ein Wissen erarbeitet, das ihn zum Fachautoren für klassische Medien empfiehlt, wenn denn die Redaktionsleiter an kritischen Berichten interessiert sind und diese auch entsprechend honorieren wollen.

Der Autor ist evangelischer Theologe und freier Journalist in Berlin.