Edzard Reuter spricht von einem »öffentlichen Skandal«

Neues Gutachten über früheres KZ Lichtenburg / Verkaufsaktion geht weiter

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Ein neues Gutachten bescheinigt dem früheren KZ Lichtenburg in Sachsen-Anhalt, ein einmaliger, authentischer Erinnerungsort zu sein. Trotzdem wird weiter versucht, die Immobilie zu verkaufen.

Edzard Reuter findet harte Worte. Für einen »öffentlichen Skandal« hält der ehemalige Daimler-Chef den aus »kurzfristigen fiskalischen Erwägungen« betriebenen Verkauf des ehemaligen Konzentrationslagers Lichtenburg. Aus Reuters Sicht ist die an der Elbe gelegene Burg, in der die NS-Machthaber bereits ab 1933 politische Gegner inhaftierten und misshandelten, eine »für die Zeit der nationalsozialistischen Unterdrückung nun wahrhaft bedeutsame Einrichtung«. Wie die Häftlinge litten, weiß Reuter aus erster Hand: Sein Vater, der spätere Westberliner Oberbürgermeister Ernst Reuter, gehörte zu den ersten Gefangenen. Der Verkauf des im Bundesvermögen befindlichen einstigen KZ, ein bislang in der Bundesrepublik einmaliger Vorgang, sorgt nicht nur bei Reuter für Empörung. Fast alle überregionalen Zeitungen sowie Reporter von US-amerikanischen und israelischen Blättern nehmen die Vorgänge um die nahe dem Örtchen Prettin gelegene Burg und die darin befindliche Gedenkstätte aufmerksam zur Kenntnis. Zu Recht, wie ein jetzt vorliegendes Gutachten bestätigt, das die Berliner Wissenschaftlerin Stefanie Endlich im Auftrag des Landkreises Wittenberg anfertigte. In der 80-seitigen Expertise konstatiert Endlich, die an der Neukonzipierung von KZ-Gedenkstätten im Land Brandenburg und in Dachau mitarbeitete, dass der Lichtenburg eine »besondere Rolle bei der Durchsetzung und Etablierung des nationalsozialistischen Macht- und Terrorsystems« zukam. Diese finde in der internationalen Forschung zunehmende Beachtung. Endlich spricht von einer hohen »Authentizität des Ortes« und einer »besonderen überregionalen Bedeutung der KZ-Gedenkstätte Lichtenburg in der deutschen Gedenkstättenlandschaft«. Das Gutachten korrigiert damit Einschätzungen, die ein früheres Bemühen um die Gedenkstätte bremsten. Noch unlängst attestierte die sachsen-anhaltische Landesregierung der Lichtenburg »fehlende überregionale Bedeutung«. In die Gedenkstättenkonzeption des Landes wurde das einstige KZ nicht aufgenommen. Der Bund als Eigentümer investierte zwar zwei Millionen Mark in den notwendigsten baulichen Unterhalt, bezeichnet die Immobilie aber als für seine Zwecke »entbehrlich«. Der Landkreis stellt derzeit jährlich 50000 bis 70000 Mark für die Gedenkstätte zur Verfügung - viel zu wenig für eine Neukonzeption der Ausstellung. Diese ist aber dringend notwendig, um die Zukunft der Gedenkstätte zu sichern, mahnt das Gutachten. Der momentane inhaltliche Zustand der Ausstellung, die auf dem Stand von 1978 ist, sei »untragbar«. Wegen der personellen Unterbesetzung - für die KZ-Gedenkstätte und das Kreismuseum sind eine Museumsleiterin und ein Hausmeister zuständig - könne »keine fundierte Vermittlungsarbeit stattfinden«. Dass in Baumaßnahmen investiert wurde, der Kreis aber kaum Gelder für die Museumsarbeit bereitstellt, sei ein »Widerspruch, der nur schwer auszuhalten ist«. Für die Zukunft regt Endlich ein neues museologisches und pädagogisches Konzept an. Sie weist gleichzeitig darauf hin, dass der Bund vergleichbare Gedenkstätten fördert, wenn sich das betreffende Land an der Finanzierung beteiligt. Zudem meint die Wissenschaftlerin, dass die Aussichten auf Fördermittel stiegen, wenn es - ähnlich wie in Brandenburg, Thüringen oder Sachsen - eine Gedenkstättenstiftung gäbe. Zunächst bleibt indes abzuwarten, ob sich bei der bis Ende des Monats laufenden Ausschreibung Interessenten für das Objekt finden und welche Konzepte diese vorlegen. Appelle der PDS-Landtagsfraktion an den Bund, seine Verkaufsbemühungen zu stoppen, verhallen bislang ungehört. Die Landesregierung setzt auf vertragliche Verpflichtungen für potenzielle Käufer, die Gedenkstätte zu erhalten. Dass dies auch von der Bundesregierung so gesehen wird, gehe aus einem Briefwechsel zwischen Ministerpräsident Reinhard Höppner und Bundesfinanzminister Hans Eichel (beide SPD) hervor, sagte ein Regierungssprecher auf ND-Nachfrage. Ob die Lichtenburg tatsächlich den Besitzer wechselt, ist derzeit indes offen: Das Bieterverfahren laufe »sehr formalisiert« ab, ist von der Oberfinanzdirektion Magdeburg zu hören. Im Klartext: Ob überhaupt Ge...

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