nd-aktuell.de / 12.01.2012 / Kultur / Seite 10

David Fincher: Dem System die Stirn bieten

nd: David Fincher, inwiefern hatte sich Ihr Film vom schwedischen Original zu unterscheiden?
Fincher: Es gab Crew-Mitglieder, die an beiden Filmen gearbeitet haben. Als wir die Locations recherchierten, murmelte jemand: »Diese Brücke wurde bereits im schwedischen Film verwendet.« Aber ich habe keinem gesagt: »Zeig mir jetzt nicht diese Ohrringe, denn die waren schon im schwedischen Film.« Wir hatten einfach unterschiedliche Vorstellungen: von Punk, von Lisbeth Salander, davon, ob Blomkvist es verdient, heroisch oder lächerlich dargestellt zu werden.

Ihr Film ist eleganter als das schwedische Original.
Ja, wir wollten, dass Blomkvist etwas metrosexueller wirkt. Denn er ist ständig von Frauen umgeben. Ich wollte, dass er zugänglich ist, nicht nur auf die Arbeit bezogen. Er ist Finanzjournalist. Und der Aspekt des Faschismus im Buch ist für mich insofern interessant, als er sich verlagert hat, dorthin, wo diese Ideen umgesetzt werden können: in der Finanzwelt. Denn dort finden heute politische Übernahmen statt. Das war ein interessanter Gedanke, den man aber leider nicht ausführlich in zweieinhalb Stunden einbauen kann.

Kann die Hackerin Lisbeth Salander als Galionsfigur für aktuelle Protestbewegungen weltweit herhalten?
Für mich ist sie eine Humanistin. Sie ist einfach wütend und hält es nicht mehr aus. Wenn 65-jährige Männer in der U-Bahn »Millennium« lesen, dann nicht, weil sie Feministen sind, sondern weil sie sie verstehen, genau wie ich. Jedem System, das Menschen unterjocht, muss man irgendwie die Stirn bieten. Sie ist nicht Dirty Harry. Dirty Harry ist absolut überzeugt von dem, was er tut. Sie nicht, das ist das Schöne an ihr. Sogar wenn sie sich an ihrem Peiniger und Vormund Bjurman rächt, ist sie keine schadenfrohe Sadistin.

Sondern?
Sie will die Kontrolle über ihr Leben wieder erlangen. Ich sage nicht: Bekämpfe Sadismus mit Sadismus. Wir haben die Szene, in der sie ihn vergewaltigt, mehrmals gedreht. Anfänglich hatte er dabei noch seine Unterwäsche an. Aber das war falsch konzipiert. Auch der Dialog des Buches funktionierte nicht bei der Umsetzung. Er wirkte neunmalklug. Dabei ist das Spannende an Lisbeth Salander doch, dass man bei ihr nie weiß, woran man ist.

Möchten Sie auch die beiden anderen Teile der »Millennium«-Trilogie drehen?
Diese Entscheidung überlasse ich weiseren Gemütern. Ich weiß nicht, ob ich drei Jahre mit dieser Arbeit zubringen will. Ironischerweise waren die Produzenten meines Films sich nicht der kulturellen Vereinnahmung bewusst, welche die meisten Europäer in meinem Film sehen. Das Drehen des ersten Teils hat für mich sehr viel mit Risikobereitschaft zu tun und damit, einem kulturellen Phänomen gerecht zu werden. Die nächsten beiden Teile hängen eher davon ab, ob man sie für finanziell verantwortbarer hält als den ersten Teil.

Interview: Kira Taszman