Das war kein zweiter Fall Wallraff...

Skandal Karlsruhe: Jetzt wollen viele aufklären, was es eigentlich hier zu Lande nicht geben konnte

Jetzt müsse bundesweit »überprüft werden, ob Sicherheitsmängel bestehen«, verlangt die grüne energiepolitische Bundestagssprecherin Michaele Hustedt. Es ist schon interessant, wie rasch überlegene Sicherheitsgläubigkeit auf den Null-Punkt sinken kann.

Alle Verantwortlichen wollen nun mit dem Rücken an die Wand. Gerade die aus der Politik. Der Baden-Württemberger Umweltminister Ulrich Müller(CDU) kündigte nebst schneller Aufklärung auch sicherheitstechnische Konsequenzen an. Das Erste ist schon mal ein Witz. Der Schmuggel fiel bereits im März sowie Anfang Juli durch eine entsprechende Urinprobe auf. Erst am 5. Juli wurde das Müller-Ministerium informiert. Auch Bundesumweltminister Jürgen Trittin verlangt - um Eigenschutz bemüht - öffentlich »umfassende Sachaufklärung«, obwohl er laut Stuttgarter Landesregierung seit dem 6. Juli detailliert unterrichtet worden sei. Peinlich ist der Fall auf jeden Fall. Denn eigentlich gibt es so etwas, wie das Herausschmuggeln von spaltbarem Material aus Atomanlagen nur im ehemaligen Ostblock. Hat man im Westen bisher behauptet. Nun aber das: Ein »bei der Wiederaufbereitungsanlage beschäftigter Angehöriger einer Fremdfirma«, der eigentlich mit so genannten Rückbauarbeiten ausgelastet sein sollte, »hat radioaktiv verunreinigte Gegenstände aus der Anlage herausgebracht und dabei auch sich selbst und sein näheres Umfeld kontaminiert«. So erklärt das Umweltministerium in Stuttgart. Und wiegelt sogleich ab: Beim bräunlichen Inhalt des kleinen sichergestellten Fläschchens handle es sich nicht um reines Plutonium, »was es in der WAK nicht mehr gibt«. Und so gefährlich seien die strahlenden »Putzlappen« nun auch wieder nicht. Immerhin jedoch sind die (inzwischen versiegelten) Wohnungen des 47-jährigen Arbeiters, die seiner 51-jährigen Lebensgefährtin sowie drei von ihnen benutzte (inzwischen sichergestellte) Autos verseucht. Keine Gefahr also? Entwarnung ist nicht angebracht. Man ist nicht sicher, ob man alle geschmuggelten Gegenstände gefunden hat. Zugleich fahndet man nach Personen, die möglicherweise in den beiden Wohnungen zu Gast waren oder in den Autos mitgefahren sind. Eine gesundheitliche Schädigung durch das radioaktive und hochtoxische Material könne nicht ausgeschlossen werden. Der festgenommene Mann arbeitet in der Firma seines Bruders, die mit Abriss der überflüssigen Anlage beauftragt ist. Bei seinen Aussagen vor Polizei und Staatsanwaltschaft ist er nur begrenzt kooperativ. Angeblich hat er das Material geschmuggelt, um auf Sicherheitsmängel hinzuweisen. Das jedoch dementiert der Stuttgarter Umweltminister mit dem Satz: »Ich meine nicht, dass hier ein zweiter Fall Günter Wallraff erkennbar wird.« Der Schriftsteller hatte sich in den siebziger und achtziger Jahren in Betriebe und Verlage eingeschlichen, um weithin unbekannte Realitäten aufzudecken. Indirekt jedoch hat der Karlsruher Atomschmuggler schon dafür gesorgt, dass Skandalöses aufgedeckt wurde. So war es offenbar ein Kinderspiel, das strahlende Material durch die Sicherheitseinrichtungen zu bringen. Er habe das Zeug einfach neben die Monitore gelegt und nach dem Durchschreiten der Schleusen von der anderen Seite wieder aufgenommen. Das konnte nur klappen, weil schlampig kontrolliert wurde. Schlampigkeit scheint ein Markenzeichen der Wiederaufbereitungsanlage zu sein. In den Jahresberichten des Bundesumweltministeriums über meldepflichtige Ereignisse in bundesdeutschen Atomanlagen ...

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