Ich hatte einen Traum

Emine Sevgi Özdamar erhält den Poetik Preis 2012 der Alice Salomon Hochschule

  • Ariane Mann
  • Lesedauer: 3 Min.
Preisträgerin Emine Sevgi Özdamar
Preisträgerin Emine Sevgi Özdamar

»Hier habe ich meinen ersten Roman korrigiert«, erzählt Emine Sevgi Özdemar im »Alibi« in der Kreuzberger Oranienstraße. Das war 1990/91. Damals lebte die 1946 in der Türkei geborene deutsche Schriftstellerin, Schauspielerin und Theaterregisseurin noch in Düsseldorf, aber eine Berliner Freundin tippte ihr Werk in den Computer. Tagsüber saß sie in »ihrem« Café, weil die Wohnung der Freunde zu kalt war und arbeitete an »Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus«. Für einen Auszug aus dem autobiografischen Roman erhielt sie 1991 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Zusammen mit zwei weiteren großen Romanen - erschienen 1998 und 2003 - bilden sie die 2006 herausgekommene Berlin-Istanbul-Triologie »Sonne auf halbem Weg«. Am Sonnabend wird sie mit dem Alice Salomon Poetik Preis der Alice Salomon Hochschule Berlin für Soziale Arbeit (ASH) ausgezeichnet.

»Ich freue mich auf den Preis mit diesem Namen. Alice Salomon wollte die Welt zu einem Ort gestalten, in dem man leben kann. Für diesen Traum hat sie gearbeitet. Auch ich hatte einen Traum, ich wollte mit Brecht-Schülern arbeiten.« 1970 beendete sie ihr Studium an der Schauspielschule in Istanbul und spielte in Stücken von Peter Weiss und Bert Brecht. »Brecht-Gedichte und Lieder, gesungen von Busch, haben vielen in der Türkei geholfen, weil von ihnen eine große Kraft ausging.« Es war die Zeit der Militärdiktatur. Ihren Traum hatte die Dreißigjährige nicht aufgegeben. 1976 setzte sie sich in Istanbul in den Zug, fuhr nach Westberlin, wo sie als junges Mädchen schon einmal zwei Jahre als Gastarbeiterin in einer Fabrik gearbeitet hatte. »Angekommen, ging ich direkt zur Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Ostberlin und fragte Benno Besson, ob ich bei ihm arbeiten könnte. Er sagte, willkommen.«

Es begann für sie eine wunderbare, glanzvolle Zeit. Ihr Leben spielte sich am Theater ab. Zunächst hospitierte sie, zeichnete bei den Proben, spielte kleine Rollen, wenig später wurde sie Regieassistentin und arbeitet auch mit Matthias Langhoff. »Diese Zusammenarbeit hat meinen Traum nicht verletzt, nein, er wurde konkret und sogar noch schöner.« Sie erlebte, welche große Wirkung das Theater in der DDR hatte, wie bewusst die Zuschauer jeden Abend die Vorstellungen verfolgten. Über diese Zeit hat sie im dritten Roman »Seltsame Sterne starren zur Erde« geschrieben. Aus ihm wird sie zur Preisverleihung in der Berlinischen Galerie lesen.

Mit dem Poetik Preis zeichnet die ASH Künstlerinnen und Künstler aus, die durch ihre Werke biografische, interkulturelle und soziale Themen aufgreifen, durch Formensprache und Vielfalt zur Weiterentwicklung der literarischen, visuellen sowie musischen Künste beitragen und dabei interdisziplinär wirken. »Emine Sevgi Özdemar hat durch ihre Migrationserfahrung und durch die Auseinandersetzung mit Verschiedenheit Neues geschaffen und spiegelt damit auch einen der Leitsätze unserer Hochschule wider«, meint Rektorin Prof. Dr. Theda Borde.

Den Preis rief die Alice Salomon Hochschule für Soziale Arbeit (ASH) mit der Einführung des deutschlandweit ersten Masterstudiengangs »Biografisches und kreatives Schreiben« im Wintersemester 2006/07 ins Leben. Er beinhaltet auch eine Poetik-Dozentur. »Auf die Arbeit mit den jungen Leuten in Hellersdorf bin ich sehr gespannt und freue mich«, sagt die Preisträgerin, die seit zwölf Jahren in Berlin wohnt, »ganz in der Nähe von meinem Café«.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal