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Alles ist relativ

FAKTENcheck: Mehr tödlich verunglückte Fußgänger?

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Letzte Woche verbreiteten zahlreiche Medien eine Schreckensmeldung: Im vergangenen Jahr sei die Zahl der tödlich verunglückten Fußgängern deutlich gestiegen; fast 25 Prozent mehr Fußgänger als 2010 ließen im Straßenverkehr ihr Leben. Als Ursache benannte das Verkehrsministerium mit Verweis auf Experten, die Unvorsichtigkeit von Fußgängern, mit Kopfhörern und lauter Musik auf den Straßen zu wandeln. Wer nicht hören kann, muss fühlen?

Nein, sagt der Blogger Roberto J. De Lapuente in seinem Weblog www.ad-sinistram.blogspot.com. Richtig ist zwar, dass 2011 die Zahl der ums Leben gekommenen Fußgänger gegenüber 2010 nach den (vorläufigen) Schätzungen des Statistischen Bundesamtes von 476 auf 593 gestiegen ist. Ähnlich hoch (591) war die Todeszahl allerdings 2009. In den Jahren davor lag die Zahl deutlich über 600, teilweise auch über 700 (2006: 711). 2010 war das Jahr mit den wenigsten toten Fußgängern bei Verkehrsunfällen seit 1950! Selbst an der von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) genannten Ursache - der Kopfhörer-Beschallung - hat der Blogger seine Zweifel.

Und nicht nur er: Im Berliner »Tagesspiegel« erklärte ein Polizeisprecher, Statistiken zur Unfallgefahr durch das Tragen von Kopfhörern gebe es nicht. Dafür gibt es eine andere Statistik: Mehr als jeder Zweite im Straßenverkehr tödlich verunglückte Fußgänger war über 65 Jahre alt (57 Prozent). Das ist nicht unbedingt die Bevölkerungsgruppe, die man mit dem Tragen von MP3-Playern und dem Hören lauter Musik in Verbindung bringt. Berücksichtigt man zusätzlich, dass der Anteil der über 65-Jährigen in der Bevölkerung und im Straßenverkehr bedingt durch die demografische Entwicklung in den nächsten Jahren noch zunehmen wird, hätte Ramsauer also eher an die älteren Fußgänger appellieren müssen, besser im Verkehr aufzupassen. Damit hätte er aber wohl eher die CSU-Wählerklientel vor den Kopf gestoßen.

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