Ungebremst in die Garage

Wer unbedingt mal im Bob durch eine Eisrinne donnern will, kann das im sächsischen Altenberg tun

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Nur mit guten Bandscheiben: Im sächsischen Altenberg sowie an drei weiteren Orten können mutige Zeitgenossen in einem echten Viererbob auf einer Eispiste rasen, wo sonst die Spitzensportler ihre Wettkämpfe austragen.
Benesch steuert Gäste durch die Altenberger Eisrinne.
Benesch steuert Gäste durch die Altenberger Eisrinne.

»Das ist, als wenn du im Auto mit 100 km/h von der Straße ungebremst in die Garage einbiegst«, versucht Markus anschließend seine Empfindungen in Worte zu fassen. Als er kurz zuvor noch im Bob durch die spiegelglatte Rinne preschte, hatte er sich völlig ausgeliefert gefühlt: »Der Hals wird steif, man verliert die Gewalt über seine Sinne, kann den Kopf nicht mehr bewegen, die Augen nicht ausrichten, wie man will …«

Dabei dauerte es nicht einmal fünfzig Sekunden, die er in einem Viererbob durch elf Kurven des Eiskanals im sächsischen Altenberg donnerte. Und dies nicht an den Steuerseilen, denn dazu fehlt ihm die Lizenz als Pilot. Auch nicht als Bremser, also als letzter Mann im Quartett. Nein, scheinbar wohl behütet in der Mitte.

Auch sein Freund Heiko, der nach ihm dran ist, ringt nach Fassung, als er wieder aus dem ungepolsterten Gefährt steigt. »Geil«, entfährt ihm nur, während er den Integralhelm vom Kopf zieht. Später sind sich beide sicher: Diesen Geschwindigkeitsrausch, wie man ihn sich in dieser ganzen Wucht vorher überhaupt nicht vorstellen könne, müsse man einfach mal erlebt haben. Und sie grinsen nun darüber, wie der Kopf »völlig unkontrolliert in jeder Kurve links oder rechts an die Innenwand des Helmes schlug«, während die Augen wenigstens etwas vom Pistenfeeling zu erhaschen suchten. Doch alles sei so wahnsinnig schnell an ihnen vorbei- oder besser: auf sie zugeflogen, dass sie vor mancher Biegung glaubten: Oh Gott, jetzt knallen wir gegen die Eiswand und werden hinausgeschleudert!

Dreifache Erdanziehung

Zwar hatte man ihnen vorm Start geraten, besser den Kopf nach unten auf die Brust zu drücken. »Doch wer macht das schon!«, erzählen sie nun lachend. Matthias Benesch kennt das. Er weiß, dass Männer nie den Kopf herunternehmen, dass sie hinterher gern stolz solche Gespräche führen - und dass sie meist diese Fahrt von ihren Frauen zum Geburtstag geschenkt bekommen. 15 Jahre fuhr Benesch selbst aktiv, er war Europameister und Weltcup-Dritter im Viererbob. Heute sitzt er nur noch gelegentlich am Steuer solch eines Gästebobs. Denn er ist der Chef der international renommierten Rennschlitten- und Bobbahn Altenberg, eine von vier WM-tauglichen Eispisten in Deutschland. In der zweiten Februarwoche erlebt sie zum Beispiel die nächste Rennrodel-WM.

Die Gastfahrer starten nicht nur auf derselben Bahn wie die Stars, sondern auch in baugleichen Kufengefährten. Sämtliche Altenberger Gästebobs stammen aus einer kleinen Sportgerätemanufaktur unweit des Dresdner Flughafens, die in der Bobwelt ihresgleichen sucht. Rund die Hälfte aller olympischen Goldmedaillen seit 1980 sei in jenen Blauen Pfeilen aus Sachsen errungen worden, erklärt Benesch. Lediglich die Bahnlänge habe man für die ungeübten Amateure etwas gekürzt, räumt er ein. Während die Profis aus der obersten Luke starten und damit noch 400 Meter sowie vier Kurven mehr zu nehmen haben, muss für ungeübte Mitfahrer der Ausstieg reichen, an dem sonst die Doppelsitzer-Wettbewerbe im Rennrodeln starten. Das sind dann aber immer noch rund tausend Meter bei einem Gefälle von gut hundert Metern.

»In der Kreiseldurchfahrt sowie ausgangs der letzten Kurve vorm Ziel lastet auf einem dann ein Druck, der der dreifachen Erdanziehungskraft entspricht«, erzählt Benesch. Und das in einem spröden Kasten, in dem man fast auf den nackten Planken sitzt. Deshalb sollte man schon körperlich fit sein und keine Probleme mit den Bandscheiben, der Wirbelsäule, den Knochen oder dem Herz-Kreislauf haben, gibt er zu bedenken.

Urkunde mit Foto

Gut 1500 Wagemutige mieten pro Wintersaison allein in Altenberg solch ein Bobtaxi. Die Sachsen gehören zu den Vorreitern in diesem Fun-Bereich. Nach bestandener Mutprobe erhält jeder eine Urkunde mit seinem Foto im Bob vor dem Start sowie der gefahrenen Zeit.

Mittlerweile bieten nun auch die Bob- und Rennrodelbahnen in Königsee (Bayern), Oberhof (Thüringen) und Winterberg (Nordrhein-Westfalen) Bobabfahrten für jedermann an. Angesichts der kurzen Saison, die bereits Ende Februar aufhört - in Königsee Mitte März - ist freilich eine rechtzeitige Anmeldung angeraten.

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