Blutleere Zauderer

Deutsche Rückraumspieler stehen nach verpatztem Auftakt der Handball-EM wieder in der Kritik

  • Erik Eggers, Niš
  • Lesedauer: 4 Min.

Dunkle Ränder zierten die Augen des Bundestrainers am Tag nach der Schmach. »Von 1 Uhr bis 4 Uhr, dann konnte ich nicht mehr schlafen«, berichtete Martin Heuberger im Tami Residence, dem Vier-Sterne-Hotel, in dem die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) logiert und das einen großartigen Blick auf Niš und die Tiefebene Südserbiens bietet. Doch dafür fehlte Heuberger am Montag der Sinn. Es galt, die verheerende 24:27-Niederlage gegen Tschechien zum Auftakt der 10. Handball-EM aufzuarbeiten. Und die Mannschaft für das eminent wichtige heutige zweite Spiel gegen Mazedonien einzustellen.

Eine seriöse Erklärung für den Ausfall des wichtigsten Mannschaftsteils, des Rückraums, konnte Heuberger allerdings auch nach intensiver Videoanalyse nicht liefern. Insbesondere der blutleere Auftritt des Hamburger Kapitäns Pascal Hens, der in den ersten 20 Minuten zahlreiche Fahrkarten und Fehlpässe fabriziert hatte, ließ den Bundestrainer rätseln. »Ich weiß nicht, woran es liegt«, sagte Heuberger achselzuckend. »Ich habe schon mit Pommes gesprochen, aber auch er kann sich das nicht erklären.«

Auf »Pommes«, der Spitzname des 31-Jährigen Hens', ruhten vor der EM vornehmlich die Hoffnungen Heubergers. Der Halblinke spielt seit 2002 große Turniere, er hat zwei Olympische Spiele hinter sich, war Europameister 2004 und Weltmeister 2007, und er wurde geschult durch die »Goldene Generation«, durch Persönlichkeiten wie Christian Schwarzer, Markus Baur, Volker Zerbe, Daniel Stephan. Hens also sollte die Mannschaft in Serbien führen, um wenigstens die Chancen auf das Olympiaticket für 2012 zu erhalten. Doch jetzt wirkt er »wie ein Fremdkörper« in der Mannschaft, sagte der Turnierbeobachter Daniel Stephan.

Noch rätselhafter wirkte die Vorstellung, da Hens kürzlich im Klub ansteigende Form aufwies. Auch in den beiden letzten Testspielen gegen Ungarn hinterließ er einen guten Eindruck. Doch dann brachten ihn ein paar Fehlwürfe völlig aus dem Tritt. »Ich weiß auch nicht, was da passiert ist«, sagte Hens, und ihm schwante Böses für die nächste Partie. »Wenn wir da die Bälle nicht rein machen und ein ähnlich furchtbares Überzahlspiel an den Tag legen, werden wir gegen Mazedonien in eine ähnliche Situation kommen.«

Sorgen macht aber nicht allein der Zustand von Hens, der mit 194 Länderspielen erfahrenste Mann im Kader. Auch der zweite routinierte Mann im Rückraum, Linkshänder Holger Glandorf, hinterließ einen desaströsen Eindruck. Dabei zählte Glandorf bei der SG Flensburg-Handewitt zu den stärksten Rückraumspielern der Liga: Mit 96 Toren war er in der Hinserie der drittbeste Schütze aus dem Feld. Nun wirkt es, als habe er seine Form vergessen, als er die Reisetasche für die EM in Serbien packte. »Er ist ein Draufgängertyp, das ist seine Stärke«, sagte Heuberger. Aber der Draufgänger Glandorf hat sich in der Nationalmannschaft in einen Zauderer verwandelt.

Alles ein Kopfproblem, sagte Michael Haaß, der Spielmacher von Frisch Auf Göppingen. Durch die Fehlwürfe gegen Tschechien hätten sie im Rückraum zu viel nachgedacht, und manchmal zu lange gezögert, die richtige Entscheidung zu treffen. »Da geht es um Zehntel, nur um einen Tick, aber der ist entscheidend«, erklärte Haaß. »Wir sind in alte Fehler verfallen.«

Viel Zeit aber hat die DHB-Auswahl nicht, diese Fehler im Rückraum zu korrigieren. Eine Niederlage gegen Mazedonien würde das vorzeitige Aus bei der EM bedeuten, sollten die Schweden anschließend gegen Tschechien gewinnen. Und die Aufgabe wird dadurch extrem erschwert, dass die Mazedonier um ihren Superstar Kiril Lazarov von 4000 Zuschauern in der Cair-Hall unterstützt werden.

Sie entfachen einen infernalischen Lärm, den es, wie Heuberger weiß, »so nur auf dem Balkan gibt. Das ist die pure Emotion.« Aber darin liege auch ein gewisser Reiz, eine Herausforderung für seine Spieler. »Wir müssen versuchen, diesen Druck auf den Rängen in Motivation umzuwandeln«, formulierte es Hens. Gelingt dies, könnte es die Wende in diesem Turnier bedeuten. Scheitern aber die deutschen Handballer, wäre es der Tiefpunkt in der ruhmreichen Geschichte des Landes, in dem der Handball erfunden wurde.

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