nd-aktuell.de / 19.01.2012 / Kultur / Seite 17

Leseprobe

Herr der Herzen?

Friedrich auf Reisen  Abb.: Buch
Friedrich auf Reisen Abb.: Buch

Die heutige Zeit steht den »Sentimentalitäten und Schwärmereien« des 18. Jahrhunderts augenscheinlich näher als die auf »hart gehämmerte« Heldencharaktere abonnierten Wilhelminer am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Man interessiert sich wieder für Gefühle, Stimmungen und Empfindlichkeiten, noch dazu für zerrissene und widersprüchliche ...

Der aktuelle emotional turn in den Kultur- und Lebenswissenschaften reagiert auf diese Entwicklungen, reflektiert und inspiriert sie. Es regt auch dieses Buch an, das sich mit der Gefühlspolitik Friedrich II. befasst. Was ist damit gemeint? Nicht gemeint ist ein menschelnder, gefühlvoller Blick auf den König oder ein Blick auf den König als gefühlsvollen Menschen. Ob Friedrich zuerst Menschen und später nur noch Hunde liebte, ob er Trauer und Freude, Neid und Hass empfand, ob er in seiner Jugend empfindsamer war als im Alter... Der König liegt hier nicht auf der imaginären Couch von Psychologen und Analytikern, die seine seelischen Verletzungen rekonstruieren und politische Entscheidungen aus der konfliktreichen Vater-Sohn-Beziehung ableiten ... Er sitzt auf einem Stuhl, in einer Kutsche oder auf dem Pferd, mit aufrechtem Oberkörper und wachem Blick. Er hört zu, liest, ordnet an. Er nimmt Bittschriften entgegen, spricht mit den Bittstellern - wie mit der Leubuscher Witwe. Er verbreitet, anonym, Rechtfertigungen seiner Feldzüge und Informationen über militärische Erfolge, seine Minister lancieren Propagandamaterial in Zeitungen und Flugschriften. Er lässt sich feiern, baut repräsentative Paläste, setzt seinen Ehrgeiz in die Fabrikation feinen weißen Porzellans à la Meißen. Und er verfasst Texte, unentwegt ...

Der König, so scheint es, ist allgegenwärtig... Er hört alles, sieht alles. Er kontrolliert seine Gegenwart, und nicht nur diese: Er hält auch die Vergangenheit fest im Griff und entwirft sogar seine eigene Zukunft ... Diese immense, nie versiegende Gestaltungsenergie richtet sich auch und nicht zuletzt auf das, was hier Gefühlspolitik genannt wird.

Aus Ute Frever »Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen?« (Wallstein, 151 S., geb., 16,90 €).