Gut informierte Opfer wissen sich am besten zu helfen, aber...

Fragen an Lothar Eberhardt von der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime

ND: Die Berliner Koordinierungsstelle für die Entschädigung von Zwangsarbeitern hat ihre Arbeit aufgenommen. Verspüren Sie schon Wirkungen?

Sie arbeitet jetzt auf Hochtouren und kann den Opfern ganz konkret bei der Nachweisbeschaffung auf unterschiedlichsten Ebenen helfen. Hier suchen Historiker mit einem fast unglaublichen Gespür in unterschiedlichsten Archiven nach Nachweisen. Sie haben zwischenzeitlich einen reichhaltigen Erfahrungsschatz.

ND: Wohin müssen sich Betroffene wenden?

Für die Antragsannahme sind immer die Opferländer zuständig, dort sind Partnerorganisationen, Stiftungen eingerichtet. Die haben Verträge mit der deutschen Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«, und dort ist alles zur Nachweisbeschaffung geregelt.

ND: ...und wohin wenden sich die Opfer wirklich?

Vor allem Opfer in Osteuropa, die in größter Armut leben und die es am nötigsten haben, nehmen jeden Strohhalm, der sich bietet. Sie trauen ihrer Bürokratie nicht und nicht den dortigen Partnerorganisationen oder den Stiftungen für Verständigung und Versöhnung. Sie schreiben an unterschiedlichste Organisationen, auch direkt an den Betrieb, an den Ort oder an die Kommune. Auch bei unserer Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime gehen verstärkt wieder Anfragen ein.

ND: Was tun Sie damit?

Wir versuchen den Menschen direkt zu helfen, schreiben an die Kommunen oder an die zuständigen Betriebe. Aber wir sind ein Opferverband, eine Nichtregierungsorganisation, und wir haben gar nicht die nötigen Ressourcen. Wir arbeiten ehrenamtlich. Hier in Berlin geben wir Anfragen an die Koordinierungsstelle zur Nachweisbeschaffung weiter.

ND: Kennen die Betroffenen die richtigen Ansprechpartner, die nötigen Wege?

Das ist ein Problem - die Informationspolitik der Bundesstiftung bzw. in den einzelnen Ländern, vor allem in der ehemaligen Sowjetunion. Da müssen die Partnerorganisationen natürlich Informationen auch so breit streuen, dass sie bei den Opfern ankommen. Die gut informierten Opfer wissen sich am ehesten zu helfen. Aber genau die, die Hilfe brauchen, erreicht wahrscheinlich die Information nicht.
Wissen Sie, in welchem Umfang für Nachfragen Firmenarchive zur Verfügung stehen?
Diese Frage ist natürlich spannend. Vor allem die großen Unternehmen öffnen sie teilweise. Siemens ist vorbildlich, bei VW ist das auch kein Problem. Ganz allgemein gesagt, es gibt diese Archive, sie können auch genutzt werden - doch nicht alle Firmen gewähren Einsicht.
Aber was noch viel wichtiger ist: der öffentliche Sektor, Reichsbahn, Reichspost, dann die ganzen kommunalen und übergeordneten Verwaltungen. In diesen Bereichen liegen unterschiedlichste Akten, auch in den Bezirksämtern. Dann gibt es natürlich Sterbeakten und die Geburtenregistratur, Einwohnermeldekarteien. All das kann auf Landes- bzw. bezirklicher Ebene genutzt werden. Das wiederum erfordert eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen den Bezirken und der Koordinierungsstelle.

ND: Sehen Sie eine moralische Bringepflicht oder -schuld des Landes Berlin?

Der Senat von Berlin hat den Beschluss gefasst, den Zwangsarbeitern bei der Nachweisbeschaffung zu helfen und will auch in dem ehemaligen Zwangsarbeiterlager in Schöneweide eine Informations- und Dokumentationsstelle einrichten. Damit ist, meine ich, der politische Wille bekundet. Eine »Bringeschuld«, wie Sie sagen, wird jetzt teilweise mit dieser Nachweisbeschaffung für die Opfer eingelöst.

ND: Ist nicht etwas viel Zeit vergangen, bis die Dinge in Gang gekommen sind?

Ja, natürlich. Strukturen hätten schon viel früher geschaffen werden müssen. Es ist ein Archivverbund auf Bundesebene angedacht, aber der arbeitet noch nicht. Und die Informationspolitik der Bundesstiftung ist im Moment auch etwas umstritten, die Internet-Präsentation noch nicht fertig.
Es ist schon viel zu viel Zeit vergangen. Die Verlängerung der Antragsfrist bis zum 31. Dezember hilft den Opfern etwas. Aber die Nachweisbeschaffung läuft noch nicht optimal. In Berlin ist es gut angelaufen. Aber voll einsatzfähig ist man auch hier nicht, weil Listen vom internationalen Suchdienst immer noch nicht gekommen sind. Auch die Koordinierung auf Bundesebene funktioniert noch nicht.

Fragen: Klaus J. HerrmannND: Die Berliner Koordinierungsstelle für die Entschädigung von Zwangsarbeitern hat ihre Arbeit aufgenommen. Verspüren Sie schon Wirkungen?

Sie arbeitet jetzt auf Hochtouren und kann den Opfern ganz konkret bei der Nachweisbeschaffung auf unterschiedlichsten Ebenen helfen. Hier suchen Historiker mit einem fast unglaublichen Gespür in unterschiedlichsten Archiven nach Nachweisen. Sie haben zwischenzeitlich einen reichhaltigen Erfahrungsschatz.

ND: Wohin müssen sich Betroffene wenden?

Für die Antragsannahme sind immer die Opferländer zuständig, dort sind Partnerorganisationen, Stiftungen eingerichtet. Die haben Verträge mit der deutschen Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«, und dort ist alles zur Nachweisbeschaffung geregelt.

ND: ...und wohin wenden sich die Opfer wirklich?

Vor allem Opfer in Osteuropa, die in größter Armut leben und die es am nötigsten haben, nehmen jeden Strohhalm, der sich bietet. Sie trauen ihrer Bürokratie nicht und nicht den dortigen Partnerorganisationen oder den Stiftungen für Verständigung und Versöhnung. Sie schreiben an unterschiedlichste Organisationen, auch direkt an den Betrieb, an den Ort oder an die Kommune. Auch bei unserer Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime gehen verstärkt wieder Anfragen ein.

ND: Was tun Sie damit?

Wir versuchen den Menschen direkt zu helfen, schreiben an die Kommunen oder an die zuständigen Betriebe. Aber wir sind ein Opferverband, eine Nichtregierungsorganisation, und wir haben gar nicht die nötigen Ressourcen. Wir arbeiten ehrenamtlich. Hier in Berlin geben wir Anfragen an die Koordinierungsstelle zur Nachweisbeschaffung weiter.

ND: Kennen die Betroffenen die richtigen Ansprechpartner, die nötigen Wege?

Das ist ein Problem - die Informationspolitik der Bundesstiftung bzw. in den einzelnen Ländern, vor allem in der ehemaligen Sowjetunion. Da müssen die Partnerorganisationen natürlich Informationen auch so breit streuen, dass sie bei den Opfern ankommen. Die gut informierten Opfer wissen sich am ehesten zu helfen. Aber genau die, die Hilfe brauchen, erreicht wahrscheinlich die Information nicht.
Wissen Sie, in welchem Umfang für Nachfragen Firmenarchive zur Verfügung stehen?
Diese Frage ist natürlich spannend. Vor allem die großen Unternehmen öffnen sie teilweise. Siemens ist vorbildlich, bei VW ist das auch kein Problem. Ganz allgemein gesagt, es gibt diese Archive, sie können auch genutzt werden - doch nicht alle Firmen gewähren Einsicht.
Aber was noch viel wichtiger ist: der öffentliche Sektor, Reichsbahn, Reichspost, dann die ganzen kommunalen und übergeordneten Verwaltungen. In diesen Bereichen liegen unterschiedlichste Akten, auch in den Bezirksämtern. Dann gibt es natürlich Sterbeakten und die Geburtenregistratur, Einwohnermeldekarteien. All das kann auf Landes- bzw. bezirklicher Ebene genutzt werden. Das wiederum erfordert eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen den Bezirken und der Koordinierungsstelle.

ND: Sehen Sie eine moralische Bringepflicht oder -schuld des Landes Berlin?

Der Senat von Berlin hat den Beschluss gefasst, den Zwangsarbeitern bei der Nachweisbeschaffung zu helfen und will auch in dem ehemaligen Zwangsarbeiterlager in Schöneweide eine Informations- und Dokumentationsstelle einrichten. Damit ist, meine ich, der politische Wille bekundet. Eine »Bringeschuld«, wie Sie sagen, wird jetzt teilweise mit dieser Nachweisbeschaffung für die Opfer eingelöst.

ND: Ist nicht etwas viel Zeit vergangen, bis die Dinge in Gang gekommen sind?

Ja, natürlich. Strukturen hätten schon viel früher geschaffen werden müssen. Es ist ein Archivverbund auf Bundesebene angedacht, aber der arbeitet noch nicht. Und die Informationspolitik der Bundesstiftung ist im Moment auch etwas umstritten, die Internet-Präsentation noch nicht fertig.
Es ist schon viel zu viel Zeit vergangen. Die Verlängerung der Antragsfrist bis zum 31. Dezember hilft den Opfern etwas. Aber die Nachweisbeschaffung läuft noch nicht optimal. In Berlin ist es gut angelaufen. Aber voll einsatzfähig ist man auch hier nicht, weil Listen vom internationalen Suchdienst immer noch nicht gekommen sind. Auch die Koordinierung auf Bundesebene funktioniert noch nicht.

Fragen: Klaus J. Herrmann

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