nd-aktuell.de / 30.01.2012 / Politik / Seite 5

Schule des Ungehorsams

Bewegungslinke diskutieren über die Grenzen und Möglichkeiten kollektiver Regelbrüche

Ines Wallrodt
Ziviler Ungehorsam zieht nicht nur bei Aktionen, sondern auch als Kongressthema. In Dresden diskutierten am Wochenende rund 300 vorwiegend junge Menschen darüber, was darunter zu verstehen ist - und wann der Regelverstoß gar Pflicht wird.
Schule des Ungehorsams

Als sie für den 25. Januar die erste Besetzung des Tahrirplatzes planten, ahnte niemand, dass dies mit dem Sturz des ägyptischen Diktators Mubarak enden könnte. »Wir hätten nie gedacht, damit die Revolution anzustoßen«, sagt Ola Shahba aus Kairo. Aber so war es. Statt der erwarteten 5000, kamen 100 000 Menschen, jeden Alters, verschiedenster Herkunft, verschiedensten Glaubens. Viele hatten sich in ihrem bisherigen Leben keines Blickes gewürdigt. Aus einer kleinen Gruppe wird eine Massenbewegung, davon träumen Linke auch hierzulande. Die junge Ägypterin hat deshalb in Dresden, beim Kongress über zivilen Ungehorsam, den Part, zu erzählen und zu erklären, wie das bei ihnen geklappt hat mit der Umwälzung der herrschenden Verhältnisse.

Der Veranstaltungsort passt gut zum Thema: Neben Stuttgart und Gorleben ist Dresden eine Chiffre für zivilen Ungehorsam geworden, auch wenn das die sächsischen Behörden noch so sehr bekämpfen mögen. In zwei Wochen wollen dort erneut Tausende Bürger mit Sitzblockaden die Nazis am Marschieren hindern. Die Erfahrungen mit diesem Widerstand waren ebenfalls ein Aspekt der Podien, Vorträge und Workshops im modernen Hörsaalzentrum der Technischen Universität, wo sich linke Aktivisten aus dem Umfeld der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des postautonomen Spektrums am Wochenende mit den Grenzen und Möglichkeiten dieser Protestform beschäftigten - und vor allem mit ihrer Ausweitung. »Wir sollten versuchen«, wirbt Aktivist und Philosoph Thomas Seibert, »mit diesen Aktionen aus der Defensive in die Offensive zu kommen.«

Bei Konfliktfeldern wie Atomkraft, Gentechnik, selbst bei Rechtsextremismus genießt der kollektive, öffentliche und gewaltfreie Bruch von Gesetzen Legitimität bis weit in liberale Kreise hinein. Daraus müsste sich doch mehr machen lassen, glaubt nicht nur Seibert. Aktionen des zivilen Ungehorsams sollen nicht nur defensiv versuchen, schlechte Politik zu korrigieren, sondern eigene Lebensentwürfe voranzubringen, um schließlich generell die Machtfrage zu stellen. Dauerhafte Selbstermächtigung, nennt Seibert das und stellt sich etwa vor, wie mit der Blockade eines gesamten Stadtviertels exemplarisch vorgeführt wird, dass also auch eine ganze Ordnung gestört werden könnte.

Die Idee linksradikaler Gruppen, Protestformen und politische Ziele unter dem Label Ziviler Ungehorsam auszudehnen, hat einige Sprengkraft. Aus Sicht des Berliner Sozialwissenschaftlers Alex Demirovic ist es ein taktischer, instrumenteller Umgang mit dem etablierten Ansatz, seine »Legitimitätsreserven« zu nutzen. Und wird nicht plötzlich jede linke Protestaktion zu zivilem Ungehorsam? Was ist dann aber noch mit dem Begriff beschrieben? Vor allem die Gewaltfreienszene der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung, die ein sehr genaues Konzept darunter versteht, verfolgt die Entwicklung nicht ohne Sorge, war jedoch beim Kongress nicht vertreten. Die heikle Diskussion steht erst am Anfang.

Skepsis gibt es auch, ob sich mit Verweis auf die arabischen Revolten viel für hiesigen Ungehorsam anfangen lässt. Demirovic rät zur Differenzierung. Was in Ägypten oder Tunesien passierte, sei nicht mit diesem Begriff zu fassen. Dort ging es um Regimewechsel, für Deutschland glaubt nicht nur er nicht an heimliche Mehrheiten, die ähnlich umwälzende Veränderungen des Systems wünschten.

Man kann Erweiterung des zivilen Ungehorsams aber auch anders verstehen. Roland Roth meint dies inhaltlich: Der Politikwissenschaftler ist unzufrieden mit der Konzentration der Bewegungen auf »die klassischen Themen« Atom, Nazis und Großprojekte. Entschiedenen Widerstand wünscht er sich derzeit vor allem gegen die deutsche Krisenpolitik. Doch hier hapert es. »Wir sind in einer beschämenden Weise an den Verheerungen beteiligt, die die Bundesregierung im Süden Europas anrichtet«, kritisiert Roth. Auch Altaktivist Peter Grottian sieht das so. Der emeritierte Politologe bezweifelt gar, dass in den eigenen Reihen genug Unterstützung für hartnäckige Blockadeaktionen vorhanden wäre. »Da ist doch oft viel Großmäuligkeit dabei.«

Alexis Passadakis von Attac fürchtet jedenfalls, dass zum jetzigen Zeitpunkt die Öffentlichkeit überhaupt nicht darauf vorbereitet ist, dass Blockaden als Protest gegen die Eurokrise legitim sind. Bis Mai sollte sich das ändern. Dann soll in der Bankenmetropole Frankfurt erneut versucht werden, Solidarität und Widerstand gegen die Sparauflagen für die Länder des Südens zu mobilisieren. In den nächsten Wochen müssten daher, so Passadakis, die Themen, die in der Eurokrise wichtig sind, auf die Agenda gesetzt werden, damit ziviler Ungehorsam überhaupt plausibel wird. Und selbst dann sind Mobilisierungserfolge noch keine Garantie für politische Veränderungen. Diese deprimierende Erfahrung machten derzeit die Empörten in Spanien und Griechenland, wie Passadakis berichtet.

Vielleicht können die Deutschen von der Flexibilität der ägyptischen Aktivisten lernen. Ola Sahba betont am Sonnabend in Dresden, dass Blockaden ein Instrument unter anderen sind, und wirft die Frage auf, in welchen Situationen man auf andere, vielleicht sogar traditionellere Formen der politischen Einflussnahme zurückgreifen müsse. Als die Zahl der Platzbesetzer auf dem Tahrir zu klein wurde, sagt sie, habe man diese Form aufgegeben und neue gesucht.