Ein Katalog voller Geschichtsklitterungen

Der israelische Außenminister Lieberman instruiert seine Botschafter, wie sie Palästinenserpräsident Abbas zu sehen haben

  • Norman Paech
  • Lesedauer: 3 Min.

Der 26. Januar ist verstrichen, ohne dass Israel - wie verabredet - dem Nahostquartett aus EU, Russland, UNO und USA seine Vorstellungen für die Wiederaufnahme der Gespräche überreicht hätte. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte dies für die PLO Anfang des neuen Jahres getan und steht jetzt wieder vor den Ruinen, die immer noch den zerschlissenen Titel »Friedensprozess« tragen.

Israels Außenminister Avigdor Lieberman hatte aber bereits am 26. Oktober allen israelischen Botschaften in einem Rundschreiben seine außenpolitischen Richtlinien mitgeteilt. Dem Quartett war es nicht verborgen geblieben. Es ist ein Papier kruder Realitätsverdrehung, dreister Behauptungen und definitiver Absage an irgendwelche Friedensverhandlungen.

Lieberman eröffnet mit der Lobpreisung seiner »vertrauensbildenden Maßnahmen«, um eine »günstige Atmosphäre für die Wiederaufnahme politischer Gespräche« mit der palästinensischen Regierung zu schaffen. Vor allem sei es der Regierung in Jerusalem um die Stärkung des wirtschaftlichen Wachstums in den palästinensischen Gebieten gegangen, aber auch um die Anerkennung der Zwei-Staaten-Lösung, das zehnmonatige Siedlungsmoratorium Israels ab November 2009 und die Reduzierung der Straßensperren auf 16.

Lieberman verschweigt, dass das Moratorium nicht für Ostjerusalem - das Hauptfeld der Bautätigkeiten -, nicht für bereits begonnene Bauten und weitere Genehmigungsverfahren gegolten hat. Er schweigt darüber, dass 2011 rund 20 Prozent mehr Siedlungsbauten errichtet wurden als 2010.

Auch die Zahl der zerstörten Wohnhäuser und Gebäude von Palästinensern stieg 2011 gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent. Fast 1100 Menschen, die Hälfte davon Kinder, wurden dabei vertrieben. Die UNO zählt, anders als Lieberman, nach wie vor etwa 500 Checkpoints und Straßensperren in der Westbank, die das Leben der Palästinenser massiv behindern.

Lieberman wirft Abbas und seiner Behörde in Ramallah vor, systematisch an der Delegitimierung Israels und der Verunglimpfung seines Bildes in der Welt zu arbeiten - mittels einer »Kultur der Terrorglorifizierung durch das unverfrorene Gedenken an die Brutalitäten gegen israelische Zivilisten«. Dies sieht er in den Straßennamen, die nach palästinensischen Kämpfern benannt sind. Für ihn sind sie alle Terroristen.

All das lastet er Abbas persönlich an. Es gehe Abbas nicht um ein Übereinkommen mit Israel, sondern allein um das Bild seiner Person, mit dem er in die Geschichte eingehen wolle. Das Scheitern der Verhandlungen in Annapolis (USA) im November 2007 lastet er Abbas persönlich an. Besonders empört sich Lieberman über Abbas' »dreiste Bemühungen um eine Einheit mit Hamas«.

Der Palästinenser-Chef habe nach dem Oslo-Vertrag 1995 einen vollständigen Stopp der israelischen Bautätigkeiten in Ostjerusalem und den Siedlungen auf der Westbank verlangt. Selbst sein 2004 gestorbener Vorgänger Yasser Arafat habe das niemals getan. »Der einseitige Antrag bei den Vereinten Nationen auf Unabhängigkeit«, behauptet Lieberman, »wird selbst von führenden Palästinensern wie Premierminister Salam Fayyad abgelehnt, verschärft die Spannungen und wendet sich direkt gegen die Lösung der anstehenden Streitigkeiten durch Dialog und Übereinkommen.« - Ein Katalog voller Geschichtsklitterungen und Beleidigungen.

Lieberman zimmert sich das Bild eines »radikalen, Terrorismus und Gewalt glorifizierenden« Abbas zusammen, welches mit der Realität und Abbas' diplomatischer Gratwanderung zwischen israelischen Zumutungen und innerpalästinensischer Opposition nichts zu tun hat. Es erinnert an die Verteufelungen, wie sie frühere israelische Regierungen mit Arafat unternommen haben, um keine Friedensverhandlungen mit ihm aufnehmen zu müssen.

Insofern ist die Schlussfolgerung Liebermans »unausweichlich: Ein Übereinkommen wird solange nicht möglich sein, wie Abbas die Palästinensische Autonomiebehörde leitet, da er es vorzieht, zentrale palästinensische Interessen seinem historischen Vermächtnis und seiner persönlichen Zukunft zu opfern. Folglich sollten unsere Anstrengungen darauf konzentriert sein, die israelisch-palästinensische Wirtschafts- und Sicherheitskooperation aufrechtzuerhalten und auszudehnen.« Das heißt nichts anderes als die Fortsetzung der Besatzung im gegenwärtigen Maßstab.

Der Völkerrechtler Prof. Norman Paech gehörte von 2005 bis 2009 der Bundestagsfraktion der LINKEN an und war deren außenpolitischer Sprecher.

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