Leuchtturm mit Nebenwirkung

Ein kilometerlanger Erdriss geht durch den Wald im Norden von Hiddensee - er wird immer breiter

  • Martina Rathke, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Risse an der Steilküste der Ostseeinsel Hiddensee (Mecklenburg-Vorpommern) werden immer größer. Die geologischen Kräfte lassen sogar Bäume bersten. Geologen machen dafür eine mehr als einhundert Jahre alte Verwerfung verantwortlich.

Hiddensee. Ein kilometerlanger Riss auf Hiddensee beunruhigt Touristen und Behörden. Die geologischen Kräfte in den Gesteinsschichten sind stark, sie bringen sogar Baumstämme zum Bersten. Doch neu ist das Phänomen nicht. Nur wenige Jahre nach der Eröffnung des Insel-Leuchtturms im Jahr 1888 klagten Wärter urplötzlich über Zugluft durch Risse im Mauerwerk. Und vor dem Kliff beobachteten die Insulaner, wie sich wie von Geisterhand eine neue, kleine Insel aus dem Meer erhob.

»Was wir jetzt erleben, ist die Fortsetzung der Leuchtturm-Verwerfung zu Beginn des 20. Jahrhunderts«, sagt der Leiter des Geologischen Dienstes im zuständigen Landesamt, Ralf-Otto Niedermeyer. Das, was die Insulaner im ausgehenden 19. Jahrhundert als kleine Insel vor Hiddensee beschrieben, war offenbar eine Ausquetschung von Tonschichten aus dem Kliff. Im Auftrag der Landesregierung verfasste der Geologe Johannes Elbert im Jahr 1906 ein Gutachten »Über die Standfestigkeit des Leuchtturms auf Hiddensee«. Er ließ zunächst fünf Bohrungen in den Untergrund bringen. Dort, wo er die geologische Störung vermutete, rammte er Messpfähle aus Eichenholz in den Boden. Bereits sechs Jahre später zeigten die Messungen einen Unterschied von einem Meter.

Bis 2004 sollte die Sprunghöhe zwischen den Schollen auf 1,8 Meter anwachsen, wie Elberts Kollege Günter Möbus drei Geologen-Generationen später schreibt. Seit drei Wochen beunruhigen nun an gleicher Stelle neue Risse und Spalten die Hiddenseer. Spalten bis zu einem Meter tief ziehen sich durch den Erdboden des Küstenwaldes, über den Hochuferweg und lassen Grasnarben aufplatzen.

Der Riss an der Steilküste im Norden Hiddensees öffne sich jeden Tag ein paar Millimeter mehr, sagte Frank Martitz vom Nationalparkamt Vorpommersche Boddenlandschaft. Neu ist das alles nur für die Zugereisten und Urlauber auf Hiddensee. Der Bereich um die Steilküste samt Wanderwegen ist seit einer Woche gesperrt. »Wir wollen kein Risiko eingehen«, sagt Kurdirektor Alfred Langemeyer.

Ob und wann sich die Hiddenseer Steilküste in Bewegung setzt, können auch die Geologen nicht sagen. »Das sind Summationseffekte, die sich an geologischen Schwächezonen über längere Zeiträume - über Jahre und Jahrzehnte - aufbauen«, sagt Niedermeyer. Er erinnert an das verheerende Erdbeben vom 18. April 1906 in San Francisco, das die Stadt in Schutt und Asche legte. Seitdem wartet man dort auf den nächsten Big Bang. Es könne sein, dass die Risse auf Hiddensee »einen gigantischen Abbruch ankündigen, es kann aber auch sein, dass in den nächsten Jahren gar nichts passiert«.

In dem fraglichen Kliff ziehen sich auf einer Länge von 1200 Metern Brüche, wie die Geologen wissen. Der Ton, der die verschiedenen Schollen verbindet, wird schmierig, wenn es nass wird. »In den vergangenen Monaten hat es extrem viel geregnet«, sagte Niedermeyer. Möglich, dass deshalb die Massen in Bewegung geraten. Der Geologe mahnt zu Gelassenheit. Man müsse jetzt abwarten. »Der Rest ist Natur.«

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