Gefährdete Frachten

Bericht des Internationalen Schifffahrtsbüros: Somalische Piraten größte Bedrohung für den Seehandel

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Heute treffen sich erneut Vertreter der maritimen Wirtschaft mit dem Wirtschaftsministerium.

Somalische Seeräuber sind für mehr als die Hälfte aller Piratenüberfälle weltweit verantwortlich. 54 Prozent aller Piratenangriffe gingen 2011 auf ihr Konto, heißt es im neuen Jahresbericht des Internationalen Schifffahrtsbüros (IMB) in London. Das Operationsgebiet der Seeräuber reicht inzwischen zweitausend Kilometer in den Süden bis Mosambik und dreitausend Kilometer gen Osten bis vor die Küste Indiens.

Von den weltweit verzeichneten 439 Angriffen passierten 236 in der Meeresregion vor Somalia. Alles in allem blieb die Zahl der Attacken jedoch in etwa gleich: 2010 waren laut IMB 445 gezählt worden, also lediglich sechs Überfälle mehr. In den vier Jahren davor hatte es allerdings einen Anstieg von 263 Angriffen gegeben. Gesunken ist die Anzahl der menschlichen Opfer: 2011 wurden 802 Mitglieder von Schiffsbesatzungen als Geiseln genommen, im Jahr davor waren es dem Bericht zufolge noch 1181. Erneut wurden zehn Seeleute durch Piraten getötet.

Indessen muss von einer erheblichen Dunkelziffer vor allem in den Küstenregionen und Inselgebieten Asiens und Afrikas ausgegangen werden. Dort geht es vor allem um Armutspiraterie, die es auf Vorräte an Bord kleinerer Frachter und die Schiffskasse abgesehen hat, nicht jedoch auf millionenschwere Lösegeldzahlungen für entführte Tanker und riesige Containerschiffe und ihre Besatzungen. So entwickelt sich der Golf von Guinea im Westen Afrikas zu einer Risikoregion. »Besonders bedenklich sei«, schreibt die »Deutsche Schifffahrts-Zeitung«, »dass das IMB von mehr als 30 Überfällen dort wisse, die nicht offiziell gemeldet worden seien«. Bei Vorfällen vor Nigeria und Benin sei außerdem von extremer Gewalt berichtet worden.

Noch im ersten Halbjahr 2011 war die Zahl der Piratenüberfälle weltweit deutlich gestiegen. Doch im letzten Quartal haben Marinestreitkräfte begonnen, berichtet das IMB, ihre Strategie zu ändern und vorbeugend hochseetüchtige »Mutterschiffe« angegriffen, von denen die Piraten auf kurzen Schnellbooten (»Skiffs«) zu ihren Entführungsaktionen starten. So hat die deutsche Fregatte »Lübeck« - die im Rahmen der EU-Mission »Atalanta« operiert - im Januar vor Somalia auf ein flüchtendes Piratenmutterschiff geschossen. Allerdings konnte es selbst durch gezielte Treffer im Bug nicht gestoppt werden.

Die zuletzt gesunkene Zahl der Überfälle führt das Internationale Schifffahrtsbüros auch auf die abschreckende Wirkung privater Sicherheitsdienste zurück, die viele Reeder mittlerweile an Bord hätten. Inzwischen wird von einer Abstimmung zwischen dem Oberkommando der Atalanta-Mission in Northwood (Großbritannien) und den Mitgliedsländern berichtet. Es geht um die Frage, ob Piraten auch »am Strand« bekämpft werden sollen. Briten, Franzosen und Niederländer dringen schon seit Längerem auf ein entschlosseneres Wirken auch an Land, und US-Marinesondereinheiten befreiten vor wenigen Tagen zwei Geiseln in Zentralsomalia. Heute findet im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin ein weiteres Treffen mit der maritimen Wirtschaft über die Zulassung von privaten Militärdiensten an Bord statt. Die Bundesregierung ist verärgert, so Marinekoordinator Hans-Joachim Otto, weil die »mit Abstand meisten Piratenangriffe« auf deutsche Schiffe unter ausländischer Flagge erfolgten.

Piratenprozess

In Hamburg müssen sich zehn Somalier seit November 2010 in einem Mammutprozess wegen Angriffs auf die »MV Taipan« verantworten. Von zwei Schnellbooten aus hatten sie die Brücke des unter deutscher Flagge fahrenden Containerschiffs unter Feuer genommen. Später befreiten holländische Soldaten die Besatzung und nahmen die Kidnapper nach einem Schusswechsel fest. Die Staatsanwaltschaft hat in der vergangenen Woche insgesamt 81 Jahre Haft für die mutmaßlichen Seeräuber gefordert. Das beantragte Strafmaß soll in drei Fällen nach Jugendstrafrecht verhängt werden; der jüngste Angeklagte will erst 13 Jahre alt sein. Einer der Verteidiger sagte am Rande des Prozesses, die geforderten Strafen seien »absurd hoch«, man müsse die katastrophalen Lebensbedingungen in Somalia berücksichtigen. In dieser Woche wird der Prozess mit den Plädoyers der 20 Verteidiger fortgesetzt. hape

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