Der lange Schatten des Murmeltiers Phil

Im Nordosten der USA warten alle auf die Prognose eines pelzigen Wetterpropheten

  • Ralf Höller
  • Lesedauer: 3 Min.
Du brauchst keinen Wetterfrosch, um zu wissen, woher der Wind weht, sang Bob Dylan in seinem Subterranean Homesick Blues. In der Heimat des Barden, im Nordosten der USA, werden quakende haarlose Wesen nicht zu Wetterprognosen herangezogen. Sondern Murmeltiere.

Am 2. Februar, um 7.25 Uhr östlicher US-Standardzeit, ist es wieder so weit: Dann wird, wie jedes Jahr, auf dem Hügel Gobbler's Knob unweit der Ortschaft Punxsutawney ein Waldmurmeltier aus seinem Bau gelockt. Es hört auf den Namen Phil und soll vorhersagen, wie lange der Winter noch dauert. Der ist im Nordosten der Vereinigten Staaten gewöhnlich noch härter als im Nordosten Deutschlands. Entscheidend ist, was direkt nach Öffnung der Klappe zu Phils Behausung passiert: Erschrickt das Tier, weil es seinen Schatten sieht - und das ist nur an einem sehr klaren und kalten Tag möglich - dauert der Winter noch volle sechs Wochen an. Zuckt das Tierchen nicht zusammen, ist mit baldigem Frühling zu rechnen.

Rund um Phils erstes Auftauchen im Jahr hat sich ein gigantisches Spektakel entwickelt: Aus weiten Teilen der USA und auch Kanadas pilgern Neugierige in die kleine Ortschaft im Bundesstaat Pennsylvania. Drei Tage dauern die Feiern um ein Ereignis an, das eigentlich nur wenige Sekunden währt.

Berühmt wurden der pelzige Waldbewohner und sein Heimatstädtchen durch den Film »Und täglich grüßt das Murmeltier«. Alles Aktuelle über Phil, Punxsutawney und Pennsylvanias Spektakel ist auf der (englischsprachigen) Internet-Seite www.groundhog.org zu erfahren. Dort werden die wichtigsten Fragen um Amerikas berühmtestes Murmeltier beantwortet, beispielsweise wie hoch die Treffsicherheit von Phils Vorhersagen ist (100 Prozent, und dies ist nur ein bisschen gelogen), wann sich der erste Zug von Befragern auf den Gobbler's Knob zubewegte (bereits im Jahr 1887, das ist verbürgt!) oder wie viele Phils es seitdem gegeben hat. Auch hier ist die Antwort nicht ganz ernst zu nehmen, behaupten doch die Betreiber der Webseite, in der 125-jährigen Geschichte habe nur ein einziges Murmeltier mitgewirkt.

Immerhin, da können alle Besucher und Beobachter sicher sein, findet die Prozession zum Hügel von Punxsutawney am 2. Februar tatsächlich statt, und ganz gewiss wird auch ein lebendiges Murmeltier erscheinen. Eine Prognose über die Reaktion des haarigen Gesellen fällt dagegen nicht so leicht. Und auch nicht über deren Vorhersagewert: Was die Aussagekraft angeht, unterscheidet sich die nordamerikanische Tradition kaum von deutschen Bauernregeln.

Wie ernst das Murmeltierorakel jenseits des Atlantiks genommen wird, zeigt eine Studie des renommierten National Climatic Data Center. Das im Bundesstaat North Carolina ansässige Institut verfügt über die größte Sammlung von Wetterdaten weltweit. Unlängst haben die Experten ihre Analyse - nicht der wirklichen Wetterdaten, sondern der real existierenden Waldmurmeltierprognosen öffentlich bekannt gegeben. Anschließend machte sich unter Phils Anhängerschaft eine gewisse Ernüchterung breit: Seit 1988 lag der pelzige Wahrsager aus Punxsutawney 13 Mal daneben; nur zehnmal hat das Tierchen richtig vorhergesehen. Was den Korrespondenten des Nachrichtensenders CBS zu der hämischen Feststellung veranlasste: »Phil ist als Vorhersagemedium auch nicht besser als mein arthritisches Knie!«

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