nd-aktuell.de / 02.02.2012 / Sport / Seite 3

Weltläufiger Weltläufer

Nach seiner Tour um den Globus will Robby Clemens auch vom Nordpol zum Südpol zu Fuß

Michael Müller
Robby Clemens (50) ist ein temperamentvoller Mann. Gelernt hat er im anhaltischen Hohenmölsen einst Klempner. Dort lebt er heute noch mit seiner Frau. Er ist ein sympathischer sportlicher Typ, aber eigentlich ist nicht viel Besonderes an ihm. Vor fünf Jahren war er allerdings in 311 Tagen um die Welt gelaufen. Nun treibt ihn ein neues Projekt um: zu Fuß vom Nordpol zum Südpol. Am 12. Mai ist er erst einmal Ehrenkapitän der Rennsteiglaufmannschaft 2012 von »neues deutschland«.
Weltläufiger Weltläufer

nd: Ein Mal um die Welt zu laufen, demnächst vielleicht noch ein Mal um den halben Globus. Abenteuerlich, aber auch verrückt, oder?
Clemens: Stimmt.

Was überwiegt?
Die tiefe Lust und die tiefe Befriedigung, sich einen Traum zu erfüllen und erfüllt zu haben.

Geht das nicht auch eine Nummer kleiner?
Natürlich geht das. Man muss nur wollen und machen. Meine Erfahrung ist indes, dass die meisten Leute es noch nicht einmal schaffen, sich ganz schlichte Träume zu erfüllen.

Sie sind aber nicht alleine los, oder?
Wir waren zu neunt im Team. Etappenweise gestaffelt, nur ich war eben immer dabei. Vier Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeut, Koch, unser Logistiker und Finanzminister, mein Sohn als Fahrer.

Gab es Sponsoren?
Es gab letztlich einen, der bei der Stange blieb. Und der hat das dann finanziell aus eigenen und eingeworbenen Mitteln, darunter viele Sachleistungen, geschafft.

In welcher Gangart und in welchem Tempo vollzog sich Ihr »WorldRun«?
Laufend, in einem Kraft schonenden Joggingstil, und gehend, also Walking mit Stöcken und ohne. Der normale Arbeitstag: drei Mal drei Stunden laufen, dazwischen zwei einstündige Pausen, Pensum durchschnittlich 50 Kilometer.

Wie viel Material blieb auf der Strecke?
Etwa 30 Paar Schuhe, etliche Hosen, Jacken und Mützen.

Sie wussten aber schon vorher, dass Sie auf diese Weise rund um die Welt weder der Erste waren noch der Schnellste sein würden?
Aber ja. Einer der ersten, der das machte, war der Münchener Heinrich Stupp. Der schaffte es 1895/96 in 492 Tagen. Allein. Sein Buch kannte ich, und die Sache ging mir nie aus dem Kopf.

Sportlich gesehen war Ihre Leistung etwas umstritten.
Ein Grüppchen innerhalb der Ultraläufer war irritiert bis pikiert. Doch die Sportfreunde hatten mich vor dem Start falsch verstanden, und mancher hat sich, nachdem wir wieder zu Hause waren, dafür auch entschuldigt. Ich wollte kein Ultrastar mit so und so vielen Marathons hintereinander werden. Ich wollte einfach zu Fuß um die Welt. Und da musste ich eben, was sie gar nicht verstehen wollten, auch weite Strecken gehen. Aus medizinischen wie aus geografischen Gründen.

Was halten Sie selbst von diesen Extremläufern?
Ich ziehe den Hut vor ihnen und räume gerne ein, dass ich nie so schnell wäre. Allerdings ist meine Sportsicht auch eine eher rekord- und siegferne. Für mich sind Teilnahme und - wenn schon Sieg, der über sich selbst entscheidend. Nicht zu vergessen der Spaß.

Mit dem Spaß ist es beim Hochleistungssport oft vorbei.
Leider gelten mitunter sogar olympische Silbermedaillengewinner als die Deppen der Nation. Aber das ist ja nicht nur im Sport so. Überall werden doch die Reichsten und Glücklichsten angehimmelt, die mit härtesten Ellenbogen als Vorbilder gepriesen.

Wann sind Sie Ihren ersten Marathon gelaufen?
Im Jahr 2000 in Hannover, in knapp fünf Stunden.

Was war Ihre längste Strecke vor dem »WorldRun« 2007?
1600 Kilometer zu zweit am Stück im Jahr 2004. Ein Benefizlauf von Athen nach Salzburg für krebskranke Kinder.

Dann also um die Welt. Was hat's Ihnen gebracht?
Mehr Weltsicht und mehr Selbsterkenntnis, natürlich auch Selbstprägung.

Und wie kam es dazu?
Es gibt wohl kaum ein besseres Mittel gegen Vorurteile, als sich vorurteilslos in der Welt umzusehen. Da vergeht kaum ein Tag, an dem sich kein Klischee auflöst. Und es gibt wohl auch kaum ein besseres Mittel, sich selbst kennenzulernen und zu prägen, als bei der Realisierung von Träumen. Man erfährt an Leib und Seele quasi die Gescheitheit und die Kraft des Sprichworts, dass ein Wille Berge versetzen kann.

Das hört sich an wie eine Binsenwahrheit.
Ist es wohl auch. Aber es ist, so meine Erfahrung, nicht ganz einfach, sich nach ihr zu richten. Entscheidender, als Wahrheiten zu kennen und darüber zu schwadronieren, ist zu machen.

Würden Sie anderen raten, Ihnen in vergleichbarer Weise nachzueifern, beim Erfüllen von Träumen?
Unbedingt. Ich tue das auch. Ich bin seit drei Jahren mit Vorträgen unterwegs. Aber ich will nicht missionieren. Ich erzähle und zeige lediglich, was ich wie erlebt habe und was es mir gegeben hat. Schlüsse - das gilt nicht nur in Sachen Sport - muss jeder für sich selber ziehen. Und rund um die Welt wird sich ohnehin kaum jemand aufmachen.

Waren Sie immer schon so cool?
Um ehrlich zu sein: Aus heutiger Sicht war ich, bevor ich 1998 mit dem Laufen anfing, ein komplettes arrogantes Arschloch.

Das ist recht bildlich, was aber bedeutet das konkret?
Ich hatte nach 1990 als Chef einer Installationsfirma mit 100 Angestellten Millionen verdient. Und dabei den Boden unter den Füßen verloren. Dicke Autos, dicke Zigarren, teuerste Anzüge, Urlaube und Whiskys. Die Probleme steigerten sich bis zur Insolvenz. Mit der Pleite 1997, in die ich letztlich im Zuge des Leipziger Skandals um den Baulöwen Schneider schlitterte, zerstörte ich nicht nur all mein Geschaffenes, sondern brachte auch meine Eltern um Haus und Hof. Wir lebten von Nudeln mit Ketchup und ich dazu monatelang von Alkohol. Gosse und Gefängnis waren nahe. Doch ich hatte Glück.

Sie haben sich an den Münchener Weltenwanderer Heinrich Stupp erinnert?
Das wäre wohl zu kitschig. Nein, ich landete in einem lichten Moment bei einem dieser Gesundheits-Lebenshilfe-Vortragsseminare. Und da muss es bei mir Klick gemacht haben.

Wer war denn dieser Guru?
Für den Urknall bei mir war Michael Spitzbart verantwortlich. Doch ich glaube, dass die Botschaft bei den meisten solcher Vorträge und Bücher im Kern die gleiche ist: an sich glauben, so zu leben, dass es für Seele und Körper gut und gesund ist. Wozu dann nicht zuletzt Sport gehört: endlich Turnschuhe kaufen und losrennen.

Braucht es für so einen Urknall immer erst eine Katastrophe?
Bei mir war das so. Aber die Freiheit, sich Ausstiegsprämissen zu setzen, werden sich andere Menschen auch auf anderen Stufen nehmen können. Die Erfahrungen sprechen jedenfalls dafür, und die Zahlen der Laufbewegung sind doch beeindruckend.

Dennoch klingt das nicht verlockend, eher nach Selbstkasteiung.
Ich bin ein normaler Alltagsmensch. Aber ohne ein paar Tabus geht es nicht. Kein Alkohol, kein Tabak, gesunde Ernährung.

Wie war das, als Sie dann das erste Mal losgelaufen sind?
Ich hatte meiner völlig ungläubig guckenden Frau gesagt: Du, ich gehe jetzt mal eine Stunde joggen.

Und wie lange haben Sie es geschafft?
Eine Stadionrunde. An die Zeit erinnere ich mich nicht mehr, auch nicht mehr daran, wie ich nach Hause kam. Ich wog damals 125 Kilo, und bereits mein Ruhepuls war so um die 120.

Aber Sie haben unter ärztlicher Kontrolle eisern weiter gemacht.
Ja, nach etwa einem Jahr fühlte ich mich mit 79 Kilogramm wie neu geboren. Ich konnte mich an den kleinen alltäglichen Dingen des Lebens freuen, die ich jahrelang hochnäsig gar nicht wahrgenommen hatte ...

… und Sie hatten die eine Sucht, nämlich die nach Alkohol, durch eine andere ersetzt, die zu laufen.
Möglicherweise gäbe es, wenn es denn so wäre, wahrlich Schlimmeres. Aber ich habe mit dem Laufen wohl so etwas wie ein Äquivalent gefunden, das mein Leben ausbalanciert. Und diesen Sport betreibe ich - sehen wir mal von dem sicher spektakulären »WorldRun« ab - im Vergleich zu anderen Läufern, von Hochleistungssportlern gar nicht zu reden, durchaus nicht exzessiv.

Wie lange sind Sie denn pro Tag so unterwegs?
Eine, manchmal auch zwei Stunden bei uns vor der Stadt um den Mondsee. Vor dem »WorldRun« hatten wir dann aber natürlich im Team noch spezielle mehrwöchige Trainingslager gemacht, in Oberhof und an der Ostsee.

Bereiten Sie sich schon für die Tour vom Nord- zum Südpol vor?
Es handelt sich dabei um einen weiteren Traum. Aber ich bin bereit, ihn zu verwirklichen. Noch ist organisatorisch und logistisch nicht alles in Sack und Tüten. Wenn's soweit ist, geben wir ein deutliches Signal.

Sie haben viele Vortragstermine. In Schulen und Parteiortsvereinen, in Firmen, in Gefängnissen oder im Lions Club. Was beeindruckt Ihre Zuhörer dort stärker: dass Sie zu Fuß um die Welt sind oder die Weltsicht, die Sie gewonnen haben?
Beides. Der »WorldRun« an sich deshalb, weil für viele eine Strecke von zehn Kilometern schon das Vorstellungsvermögen sprengt.

Und die Weltsicht?
Auch die geht oft an die Grenze des Vorstellungsvermögens. Weil bei uns weithin Klischees vorherrschen: Der Nahe Osten ist nur Mord und Totschlag, Indien ist gleich Witwenverbrennung, das Leben in Hongkong nur Menschen mordend und US-Highwaystreifen schießen bereits vor dem ersten Anruf. Die Zuhörer sind manchmal anfangs geradezu ungläubig, etwas anderes zu hören.

Wie ist es bei den vielen kleinen Episoden?
Da reichen die Reaktionen vom herzlichen Lachen bis zu Tränen gerührt. Das finde ich gut. Meine Erlebnisse sind für mich eine Schatztruhe der Seele. Für kein Geld der Welt zu kaufen. Und so einen Schatz zu heben, braucht es natürlich keinen »WorldRun«. Das geht überall im Leben. Das spüren die Leute wohl.

Wie viele Ihrer Zuhörer fangen denn auch mit dem Laufen an?
Das kann ich nicht sagen. Ich hoffe viele, von einigen weiß ich es. Mehr aber noch bekomme ich Post von denen, die meinen, dass ihnen das, was ich aus meinem Leben und Erleben erzählt habe, neuen Lebensmut gegeben hat.

Haben Sie auch engere Kontakte zum deutschen Hochleistungssport?
Ja, besonders zu aus der Nähe von Oberhof stammenden Sportlern. Und da wiederum zu den Ex-Weltklassebiathleten Frank Ullrich und Sven Fischer. Mit Sven (vierfacher Biathlon-Olympiasieger - d. R.) bestreite ich übrigens eine Vortragsreihe unter dem Titel »Grenzerfahrungen«. Er hat andere als ich, aber die Wellenlänge ist die gleiche, und die Wirkung auf die Leute auch. Möglicherweise deshalb, weil jeder im Publikum auch seine Grenzerfahrungen hat.

Im nd-Rennsteiglaufteam

Wegen der Meere, Wüsten und Gebirge hatte Robby Clemens beim »WorldRun« zwar nicht die 40 000 Kilometer um die Erde schaffen können. Aber 315 Mal die Marathonstrecke waren es in 311 Tagen: Südosteuropa, Bosporus, Naher Osten, Indien, Hongkong, Los Angeles, New York, Lissabon, Strasbourg, Berlin.

Mehr geht kaum noch. Doch warum war er noch nie beim GutsMuths-Rennsteiglauf dabei? - »Es hat irgendwie noch nie so richtig gepasst.« - Wie wäre es am 12. Mai zur 40. Auflage des Laufs im Team von »neues deutschland«, vielleicht gar als Ehrenkapitän? - »Wäre mir eine Herzenssache. Wegen des >nd<, des Teams, wegen des Rennsteiglaufs als einzigartiger Institution.« - Na klasse! - »Jetzt sollten wir uns aber als Mannschaftsmitglieder auch duzen, meine ich.« - Na dann, herzlich willkommen Robby!

... und in der kommenden nd-Wochenendausgabe mehr über das nd-Rennsteiglaufteam 2012.