Berichte aus der Hölle

Bei den Hamburger Gedenkwochen wird auch Film über eine Shoah-Überlebende gezeigt, der von Schülern gedreht wurde

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 3 Min.
In diesen Tagen finden in Hamburg aus Anlass des Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee zahlreiche Veranstaltungen im Rahmen der Wochen des Gedenkens statt. Zu sehen gibt es auch einen Dokumentarfilm von zwei Jugendlichen über die in Hamburg-Eppendorf aufgewachsene Shoah-Überlebende Esther Bauer.

»Wir sterben aus - umso wichtiger ist es mir, solange davon zu berichten, wie es geht«, antwortet die hochbetagte Esther Bauer auf die Frage, warum sie noch in Schulen, auf Veranstaltungen geht, um über ihr Überleben unter den Nazis zu berichten. Geboren wurde sie 1924 als Tochter des Direktors der jüdischen Mädchenschule, Alberto Jonas, und der Ärztin und Lehrerin Marie Jonas.

Der Geruch von Ausschwitz

Die Familie wurde von den Deutschen zunächst in das KZ Theresienstadt in Tschechien deportiert. Alberto Jonas starb dort bereits nach sechs Wochen an Meningitis. Esther Bauer überlebte knapp eine Lungenentzündung, weil ihr eine Ärztin von außerhalb half. Ihre Mutter, die Lagerärztin war, konnte ihr nicht helfen: »Sie konnte Kranken nur warme Worte oder ein Stück Watte geben«, so Esther Bauer. Bereitwillig und offen schildert sie dies in dem Film »Einfach Esther - eine Eppendorfer Lebensgeschichte«.

Nur über eine Phase spricht sie kaum: Zehn Tage war sie im KZ Auschwitz. Den Geruch, der über dem Vernichtungslager hing, wird sie nie vergessen, sagt sie nur. Und die Todesschreie. Zusammen mit 1000 anderen Jüdinnen wurde sie nach zehn Tagen selektiert für einen Zwangsarbeitseinsatz in Freiberg: Die Nazis brauchten sie für den Flugzeugbau. Ihre Mutter Marie Jonas wurde vergast.

Esther Bauer wurde von der Roten Armee aus dem KZ Mauthausen befreit und lebt heute in New York. Bei einem ihrer vielen Besuche in Hamburg lernte sie auch der Abiturient Richard Haufe-Ahmels kennen, der gemeinsam mit einem Freund, der die Kamera übernahm, einen Dokumentarfilm mit ihr drehte: Ein einstündiges Porträt, in dem sie die meiste Zeit erzählt. Auch Begegnungen sind zu sehen, etwa mit einer Theaterregisseurin vom Thalia, die ein Stück über Esthers Leben für Aufführungen in Schulklassen geschrieben hat.

Die beiden Abiturienten haben Esther Baum in ihrer New Yorker Wohnung besucht, sie in Hamburg begleitet. Richard Haufe-Ahmels bekam für »Einfach Esther« am Gedenktag für die Shoahopfer einen der Bertini-Preise für Zivilcourage von Ralph Giordano verliehen. Dass Jugendliche einen antinazistischen ZeitzeugInnenfilm drehen, sollte viel öfter passieren. Da ist es dann auch verzeihlich, wenn Kameraschwenks etwas verrissen werden, am Schluss unmotiviert Straßenbilder von New York zum Partisanenlied Bella Ciao geschnitten sind oder kritische Nachfragen fehlen. Und obwohl Esther Bejerano, die das KZ Auschwitz überlebt hat, im Film einmal kurz auftaucht, wird nicht erwähnt, dass die gesamte Filmmusik von ihrer Band Coincidence kommt. Über die Situation nach der Kapitulation der Deutschen ist nahezu nichts zu erfahren - nur, dass das SA- und NSDAP-Mitglied Dr. Schwarcke, der sich die Wohnung der Familie Jonas im Eppendorfer Woldsenweg nach deren Deportation unter den Nagel gerissen hat, dort bis mindestens 1956 ungestört gewohnt hat. Obwohl er als Gutachter am Amtsgericht bei vielen Homosexuellen empfohlen hat, sie ins Gefängnis oder ins KZ zu sperren.

Unbrauchbare Höhenruder

Verdienstvoll ist, dass die beiden jungen Filmemacher diese Dokumentation gedreht haben. Mit starken Aussagen, etwa wenn Esther Bauer in ihrer Rede zum Gedenken an die Reichspogromnacht im Rahmen einer Kundgebung der VVN und weiterer Organisationen über ihre Zwangsarbeit unter den Nazis erklärt: »Was ich tun konnte, war, die Nieten entweder zu kurz oder zu lang zu machen im Höhenruder. Denn das wurde dann geschlossen, da konnte hinterher keiner mehr reinschauen. Von den Flugzeugen, die ich mitbauen musste für die Deutschen, ist sicher nie eines geflogen.«

Vorführungen von »Einfach Esther« in Hamburg: Sonntag, 12.02., 15 Uhr, Magazin Kino, Fiefstücken 8a sowie Dienstag, 14.02., 13.30 Uhr, ella - Kulturhaus Langenhorn, Käkenflur 30; Programm der Wochen des Gedenkens im Netz: dorotheemartin.de

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