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Das Rennen um den zweiten Platz

Am Sonntag wählt Rostock einen Oberbürgermeister - unter ziemlich besonderen Umständen

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.
Es scheint wahrscheinlich, dass Rostocks schillernder OB Roland Methling am Sonntag nach dem ersten Wahlgang vorne liegt. Doch wegen der sehr speziellen Lage vor Ort könnte sich der zweite Platz als wahre Pole-Position entpuppen.
Das Rennen ins Rostocker Rathaus ist spannend.
Das Rennen ins Rostocker Rathaus ist spannend.

Es ist kein Wetter für einen Plausch an diesem Dienstag am Rostocker Neuen Markt. »Gefühlt« zehn Grad unter Null, die Schatten senken sich, ein scharfer Ostwind pfeift über den Platz. Doch bei den LINKE-Wahlkämpfern herrscht trotzdem gute Laune. Spitzenkandidatin Kerstin Liebich und die Freiwilligen, meist um die 30 Jahre alt, halten sich durch Hüpfen und Tanzen warm, was offenbar das Eis zu den Passanten bricht. Die Säckchen mit den Papiertaschentüchern gehen gut, der Mann an der Zuckerwattemaschine hat zu tun und auch die Liste für den Mindestlohn von zehn Euro wächst weiter.

Wolfgang Methling, der frühere Vize-Regierungschef Mecklenburg-Vorpommerns und jetzige LINKE-Kreisvorsitzende in Rostock, steht am Rand und reibt sich die Hände. Er freut sich über seiner Meinung nach missglückte SPD-Plakate: Für den Kandidat Ait Stapelfeld werben darauf Sportler und Musiker aus der Stadt - mit ihrem eigenen, nicht Stapelfelds Foto. »Da fragt man sich doch: Was denn, der tritt jetzt auch noch an?«, grinst Methling bester Laune.

Man kann zwar nicht sagen, dass Rostock in diesen Tagen vom Wahlfieber erfasst wäre, es ist vielmehr nicht auszuschließen, dass die bei einer Direktwahl besonders peinliche Beteiligungsmarke von 50 Prozent unterschritten wird. Spannend aber ist das Rennen allemal - und die Liebich-Gruppe auf dem Marktplatz ist durchaus optimistisch. Das übergreifende politische Momentum mag zuletzt nicht unbedingt auf der Seite ihrer Partei gewesen sein, doch hier bestimmen Themen den Wahlkampf, für die in der Stadt die LINKE steht, die seit der letzten Kommunalwahl auch die größte Fraktion stellt: kommunales Eigentum, ein »städtischer Mindestlohn«, die soziale Stadt, urbane Soziokultur. Vor allem aber sind die politischen Verhältnisse an der Warnow überaus speziell.

Roland Methling, der 2005 Bürgermeister wurde, regiert seit Jahren auf eine Weise, die in der Bürgerschaft regelmäßig für parteienübergreifende Aufregung sorgt. Über Jahre weigerte er sich beispielsweise einfach, den von der Bürgerschaft immer wieder bekräftigten Privatisierungsstopp in seinen Haushaltsentwürfen umzusetzen. Am Ende schrieben die ansonsten gegnerischen Laienpolitiker aus den Fraktionen den Haushalt der Großstadt am Ende selbst - gemeinsam von CDU bis LINKE. »Ich habe noch nie Vergleichbares gehört«, meint LINKE-Kreischef Wolfgang Methling.

Nun hat Oberbürgermeister Roland Methling, der sich einst vom Chefsessel des populären Hanse-Sail-Festivals auf den OB-Posten katapultierte, erneut einen aufwendigen Wahlkampf mit zahllosen Großplakaten auf die Beine gestellt, der scharf gegen »die Parteien« polemisiert. Wie sehr das bei den Rostockern ein zweites Mal verfängt, ist noch schwer abzusehen. Nach einer allerdings nicht repräsentativen und auch nicht manipulationssicheren Telefon- und Internet-Meinungsabfrage der »Norddeutschen Neuesten Nachrichten« liegt Roland Methling mit seinen »Anpacker«-Parolen zwar erkennbar vorn, aber mit knapp 34 Prozent bei weitem nicht weit genug, um im ersten Wahlgang zu siegen. Deutlich auf dem zweiten Platz läge demnach die LINKE-Bewerberin Kerstin Liebich mit knapp 20 Prozent, Ait Stapelfeld (SPD) und CDU-Kandidatin Karina Jens lägen mit etwa 15 Prozent auf dem dritten Platz; auf Christian Blauel von den Grünen und Sibylle Bachmann vom »Rostocker Bund« entfielen jeweils rund acht Prozent.

Sollte sich dieser Trend bestätigen, wäre nicht der erste, sondern der zweite Platz im ersten Wahlgang die wahre Pole-Position im Rennen um das Bürgermeisteramt. Auch Kerstin Liebich hätte, sollte es bei ihrem zweiten Platz bleiben, in einer Stichwahl durchaus realistische Chancen. Denn nach dem Verlauf der letzten Jahre und auch des zurückliegenden Wahlkampfes könnten sich SPD und Grüne kaum glaubwürdig für den Amtsinhaber aussprechen; eigentlich stünde selbst der CDU das nicht mehr zu Gesicht - zumal eine allfällige DDR-Keule in diesem Fall eher den OB treffen müsste, der anders als die vergleichsweise junge LINKE-Bewerberin bis 1989 SED-Mitglied gewesen ist. Und zusammen müssten die Stimmen der Partei-Kandidatinnen und Kandidaten eigentlich allemal reichen.

»Eigentlich«, wiederholt Wolfgang Methling nur, wenn man ihm diese Rechnung präsentiert.

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