BIOlumne

Schirm, Charme und Melone

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Zeichnung: Chow Ming
Zeichnung: Chow Ming

Nach dem chinesischen Neujahrsfest sind Wassermelonen fast überall in Hongkong ausverkauft. Meine angeborene Forscherneugier treibt mich ins Internet, und Erstaunliches ist da zu lesen: US-Lebensmittelforscher weisen eindringlich auf die inneren Werte der beliebten Frucht hin. Enthalten die Wassermelonen doch neben Antioxidantien mit Citrullin auch einen wichtigen Verwandten der Aminosäure Arginin. Arginin spielt eine entscheidende Rolle für ein gesundes Herz-Kreislauf-System, indem es die Weitung von Blutgefäßen unterstützt.

Bhimu Patil vom Texas A&M Fruit and Vegetable Improvement Center erklärt beiläufig: »Es ist eine tolle Methode ohne Nebenwirkungen, Blutgefäße zu weiten.« Dumm daran ist nur, dass sich das Citrullin überwiegend in der Schale der Früchte befindet; im Fruchtfleisch ist deutlich weniger. Aber immerhin ...

Citrullin soll für das Immunsystem sowie gegen Übergewicht und Diabetes Wunder wirken. Außerdem unterstütze es die Entgiftungsarbeit des Körpers. Darüber hinaus enthalten die acht Prozent des Fruchtfleisches, die nicht aus Wasser bestehen, noch Lycopin. Dieses auch in Tomaten enthaltene Antioxidanz ist nicht nur gut fürs Herz, sondern auch für Prostata und Haut.

Citrullin wurde erstmalig 1930 als reine Substanz isoliert. Sein Name geht auf die lateinische Bezeichnung der Wassermelone (Citrullus lanatus) zurück. Citrullin ist ein »Zerfallsprodukt«, das im Fall von Zelltod und Entzündungen aus dem im Eiweiß enthaltenen Arginin entsteht. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis finden sich z. B. oft Antikörper gegen citrullinhaltige Eiweiße. Darauf beruht ein neuer Rheumatest.

Die gefäßerweiternde Wirkung von Citrullin wird von einer wachsenden Industrie unter der Bezeichnung Citrullin-Malat als Nahrungsmittelzusatz für Sportler und Bodybuilder vermarktet. Einigen Studien zufolge reduziert es Muskelermüdung und erhöht den Blutfluss zu Geweben und Muskeln. Eine 1998 im Journal »Medicine and Science in Sports Medicine« erschienene Studie belegte, dass Citrullin-Malat den Milchsäureumsatz veränderte. Bereits nach fünf Tagen wurden erste Ergebnisse beim Muskelzuwachs, der Leistungssteigerung und erhöhter Ausdauer nachgewiesen. Laut einer weiteren Studie aus dem Jahre 2002, für die 18 Männer zwei Wochen täglich sechs Gramm Citrullin-Malat einnahmen, ermüdeten diese langsamer und erreichten eine größere Muskelleistung. Natürlich muss man vorher immer seinen Arzt befragen: Bei Nierenproblemen z. B. ist die Citrullin-Einnahme gefährlich; auch sind Konflikte mit anderen Medikamenten möglich.

Nebenwirkungen? In chinesischen Apotheken wird fast alles als »libidosteigernd« angepriesen. Und wie hieß es doch: »Melonen erhöhen den Blutfluss zu Muskeln und Gewebe ...« Heureka!

Mein Überschlag ergibt allerdings, dass Mann dafür etwa drei (!) Melonen essen müsste (oder die Schale von einer, oje). Ob dies den Ausverkauf zum Neujahr erklärt? Wohl doch nicht - schon wegen einer Nebenwirkung: Wohin mit den gleichzeitig aufgenommenen drei Litern Wasser?

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