Ein Unzeitgemäßer

Rudolf Lorenzen zum 90. Geburtstag

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Unzeitgemäßer

Als Anhang zum neuen Bändchen der Lorenzen-Werkauswahl, die der Berliner Verbrecher Verlag seit 2006 mit großem Engagement betreibt, findet sich eine ausführliche Biografie Rudolf Lorenzens. Schaut man sie sich ein wenig genauer an, dann kann man erahnen, worin die Schwierigkeiten dieses Schriftstellers bestanden haben und warum er bis heute ein nahezu Unbekannter in der (west-)deutschen Nachkriegsliteratur geblieben ist.

Geboren am 5. Februar 1922 in Lübeck als Sohn eines Reedereiprokuristen besucht Lorenzen in Bremen das Realgymnasium, wird zum Schiffsmakler ausgebildet, 1941 in die Wehrmacht eingezogen und kommt an die Ostfront. Er desertiert. Bei Minsk begibt er sich in sowjetische Kriegsgefangenschaft und wird zur Zwangsarbeit in einem Kohlebergwerk eingesetzt. Zwischen 1949 und 1952 studiert er in Bremen an der Kunsthochschule, erwirbt 1953 einen Fachabschluss an der Werbefachschule in Hamburg und nimmt eine Tätigkeit als Geschäftsführer bei einer Werbeagentur an. 1955 zieht er zu seiner ersten Frau nach Berlin, wo er freiberuflich in der Werbebranche tätig ist.

Seit 1955 entstehen erste literarische Arbeiten fürs Feuilleton bzw. für den Funk. Mit der Erzählung »Der junge Mohwinkel« gewinnt er einen Schreibwettbewerb der Süddeutschen Zeitung, was ihn ermuntert, in kurzer Zeit seinen ersten Roman, »Alles andere als ein Held« (1959), zu schreiben. 1962 erscheint der zweite Roman »Die Beutelschneider«. Seit Ende der 60er Jahre intensiviert Lorenzen die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen. 1982 produziert er den ZDF-Krimi »Grüße aus Bad Walden«, der allerdings ebenso floppt wie der darauf basierende Roman. In unregelmäßigen Zeitabständen folgen weitere literarische Arbeiten.

Ein Umtriebiger, Unangepasster, der alles andere als ein geradlinig sich entwickelnder Schriftsteller ist - vielmehr ein Medienautor, Journalist und Publizist, ein Organisator und Tausendsassa. Er steckt, das ist offenkundig sein größtes Problem gewesen, in keiner (literarhistorischen) Schublade, gehört zu keiner literarischen Gruppe und hat auch nie selbst den Versuch unternommen, sich dem Markt und seinen Moden irgendwie anzupassen.

Als 1959 der erste Roman erscheint, legt Lorenzen damit einen Erzähltext vor, der gleich weit vom Realismus und zugehörigen Humanismus der Gruppe 47 entfernt ist wie von der grotesken Literatur oder von sprachspielerischen Unternehmen wie der Konkreten Poesie oder der Benseschule. Lorenzens Text atmet am ehesten noch ein wenig den Geist der Neuen Sachlichkeit - in Thematik und Figurenkonstellation allemal. Denn Lorenzens Protagonist zählt zu den Unauffälligen im Lande, den Mitläufern, womit der Autor reichlich vermintes Gelände betritt. Erzählt wird die Geschichte eines Überangepassten, der sich in der Schule piesacken lässt, der zur Hitlerjugend geht, um nicht weiter aufzufallen, und der sich überhaupt immer gehörig duckt. Damit hat Lorenzen einen Anti-Helden geschaffen, der nicht nur den gewöhnlichen Faschismus anschaulich zu machen versteht, sondern auch das Weiterwirken entsprechender Verhaltensweisen und Denkmuster im restaurierten Kapitalismus der Nachkriegsgesellschaft genauestens illustriert. Das wirkte suspekt auf die zeitgenössischen Leser, rechts wie links, denn für die einen klingt es nach Nestbeschmutzung, während für die anderen wiederum die Kleinbürger-Perspektive verdächtig ist.

Ähnliches lässt sich für Lorenzens spätere Romane und Erzählungen feststellen, die ebenfalls hart neben dem Zeitgemäßen und Modischen angesiedelt sind, etwa der komisch-satirische Roman »Die Beutelschneider«, worin Lorenzen dem deutschen Wirtschaftswunder und seinen Protagonisten nahe rückt, oder der als Krimi inszenierte »Grüße aus Bad Walden«, in dem der inzwischen ubiquitäre Kapitalismus als ständige Bedrohung für die Psyche des Einzelnen erscheint. »Was Rudolf Lorenzen in der deutschen Literatur so einzigartig macht, ist vor allem seine Perspektive: gleich weit entfernt von einer bildungsbürgerlichen Überhöhung wie von der Parteilichkeit der politischen Literatur. Es ist die vielleicht nur auf den ersten Blick paradoxe Begegnung der kleinbürgerlichen Lebenserfahrung mit der Anarchie«, heißt es in einem neueren Feature über Rudolf Lorenzen.

In der Werkausgabe des Verbrecher Verlags erscheint nach Romanen und Essays nun ein Bändchen mit Berlin-Reportagen aus den 60er Jahren. Da finden sich hübsche Trouvaillen wie die über die Prostituierte »Hustenmary« im besten Berliner Gassenjargon (»Willste ma meene Brust sehn? Ick hab 'ne schöne Brust. Am fümfzehnten werd ick siebzich. Da will ick rote un' jelbe Rosn ...«). Daneben eher angestrengt wirkende Texte über autofahrende Frauen oder den - nur Älteren noch bekannten - Berliner Volksschauspieler Rudolf Platte. Und manch einer würde wohl nicht ebenfalls in das Lamento des verkannten und von seinen Verlegern gebeutelten Autors einstimmen, das Lorenzen in dem Text »Ruiniert mir der brutale Hund alle Hoffnungen« heraufbeschwört.

Rudolf Lorenzen: Die Hustenmary. Berliner Momente. Verbrecher Verlag, 120 S., Leinen, 18 €.

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