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Ein Schuldiger wird gesucht

Zwei Baustellenverantwortliche wegen fahrlässiger Tötung angeklagt

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

Der 29. April 2009 war kein Tag, der den Berlinern besonders in Erinnerung bleiben wird. Es war stürmisch, sagt der Wetterbericht, ansonsten war es ein wunderschöner Frühlingstag. Doch die kräftige Brise aus Südost sollte einem Bauarbeiter zum Verhängnis werden. Fast drei Jahre später nun das juristische Nachspiel dieses tragischen Unfalls. Wer ist dafür verantwortlich, dass an jenem Tag ein Dachdecker zu Tode kam, erschlagen von Steinbrocken eines umstürzenden Pfeilers?

Angeklagt sind der 46-jährige Gesundheitsschutzkoordinator Rayk M. und der 58-jährige Claus-Dieter S. als Bauleiter wegen fahrlässiger Tötung und Baugefährdung. Die Angehörigen des Verunglückten waren im Saal. Sie wollen nach drei Jahren endlich wissen, was auf dieser Baustelle am Mariendorfer Damm 148 geschah. Sie sind nicht im Zorn gekommen, aber Aufklärung, die wollen sie.

Während der Bauleiter von seinem Recht zu schweigen Gebrauch macht, erzählt der Schutzkoordinator das Geschehen aus seiner Sicht. Er wurde in den Abendstunden zur Baustelle gerufen. Im fünften Stock des Rohbaus, war ein zentnerschwerer Pfeiler, der einen Balkon begrenzen sollte, umgestürzt und hatte den Arbeiter unter sich begraben. Der Pfeiler hatte eine Höhe von 2,80 Meter, war nur aufgestellt und nicht mit der Wand verankert. An den Vortagen wurden an der auf einzelnen Großblöcken zusammengeklebten Säule mehrfach für Elektroleitungen Bohrungen vorgenommen. Am Unfalltag wehte ein stürmischer Wind, zwei Arbeiter erhielten den Auftrag, vor der leeren Balkonöffnung eine Plane zu spannen, damit die Bauarbeiten ohne Störungen fortgesetzt werden können. Der Wind blies die Plane auf. In diesem Augenblick stürzten die Steine um.

Auf der Baustelle gab es immer wieder Gefahrenstellen. Wurden sie erkannt, wurden unverzüglich Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit der Baustelle zu garantieren. Hier gab es vor allem Mängel am Gerüst und Benzolaltlasten, die beseitigt wurden. Den Todespfeiler jedoch sah niemand als Gefahr an, weder der Sicherheitsinspektor noch der Baustellenleiter. Schon wegen seines Gewichts kam niemand auf die Idee, dass der Pfeiler instabil sei und umfallen könnte. Zumal Statiker alles vorher genau berechnet hatten und ebenfalls keine Gefahrenlage sahen.

Eine Baustelle - das ist vor allem ein riesiger Papierberg. Pläne, Formulare, Berichte, Anträge, Verordnungen, Anweisungen. Im Dickicht von Unternehmen, Subunternehmen und Sub-Subunternehmen werden die Sicherheitsvorschriften mitunter unterschiedlich streng gehandhabt. Also könnten auch die Chefs der Bauunternehmen vor Gericht gestellt werden, denn die tragen letztendlich die Verantwortung für ihre Arbeiter.

Möglich, dass der Pfeiler im Wust der Kompetenzen nicht die Beachtung fand, die notwendig gewesen wäre. Zwei Fakten könnten den Koloss zum Umsturz gebracht haben: das aufgespannte Schutztuch, das sich aufgeblasen hatte wie ein Segel und damit eine gewaltige Kraft entwickelte, und die Bohrungen für die Elektroleitung, die die Festigkeit des Pfeilers untergraben haben. Vor Gericht ließ sich das alles nach so langer Zeit nicht mehr genau rekonstruieren. Am Ende der Verhandlung wird eine Geldstrafe für die Baustellenverantwortlichen herauskommen. Den Angehörigen als Nebenklägern dürfte das kaum helfen.

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