Kohle, Einhorn, Mittagsfrau

Unterwegs im »Land Egal«: neue sorbische Prosa

  • Lesedauer: 4 Min.

Sorbisch- und deutschsprachig fliegen dem Leser die Auskünfte zu, die er auf den langen, mitunter abseitigen Wegen sammelt, wenn er von Text zu Text jener letzten essayistisch geprägten Selbstbetrachtung einer Frau entgegeneilt - in der irrigen Erwartung, hier nun werde ihm noch einmal zusammenfassend aufgetischt, was das anthologische Buch über Land und Leute »Im Land Egal« sagen wollte. Doch Gott (und der Herausgeberin) sei Dank) geschieht nichts dergleichen ethnisch und ethnografisch Belehrendes. Auf diese Weise entgeht die Sammlung sehr verschiedenartiger literarischer Beiträge von zehn Autoren der Gefahr, in die Nachbarschaft einer Prospektschrift über den Landstrich Lausitz zu geraten.

Die alleinstehende Frau S. (keine Abkürzung für Sorben) kämpft gegen Flaschen und deren lockende Inhalte. Sie bemalt keine Ostereier, trällert nicht Volkslieder, ist weder siebenmal berockt noch auf andere Weise altüberkommen. Im Buch geht's sehr heutig und also konfliktreich zu. Und doch wird man listig und kniffig (mitunter auch mit Tücke) zu Einsichten in eine Gemeinschaft gebracht, deren Besonderheiten - wenn man sie mit Verstand und Gemüt zur Kenntnis genommen hat - auf eine kleine innerhalb der großen Welt verweisen. Und das ist in Zeiten globaler Ausgleiche, die zu »egalen« und konformen Formen und Inhalten drängen, durchaus von Belang.

In Jamárik-Zlochs »Herbstwanderung« greift ein Ertrinkender in literarischer Überhöhung nicht nach der rettenden Stange, die ihm hingehalten wird, weil der Tod des Pferdes, den er mit zu verantworten hat, für ihn keinen ausreichenden Lebenssinn mehr zulassen würde. Was für ein sittlicher Anspruch in Zeiten, in denen das Mitlebewesen Tier zur Dienstkreatur hinabgestuft worden ist, deren Leiden das Wohl der Menschen mehrt!

In Ingrid Hustädts »fabelhaftem« Märchen »Schweigen der blauen Schwalbe«, das nicht ganz ohne Sentimentalitäten auskommt, muss sich ein hilfloser Igel in unwirtlicher Umgebung, in der das Recht des Stärkeren herrscht, zurechtfinden. Die flugfähige, also die Weiten genießende Schwalbe versorgt den Igel, dessen Welt der Abfallhaufen des Gartens ist.

In Hync Rychtars wundervollem (fast protokollarischen) Report »Wenn wir die Vögel verstünden« erzählt die alte Bäuerin Hana vom traurig-grausigen Schicksal eines behinderten unehelichen Kindes, das ihm erspart geblieben wäre, wenn die Menschen, in deren Obhut das hilflose menschliche Wesen gelebt hat, die Sprache der Vögel verstanden hätten. An dieser (und an manch anderer) Stelle bedauert der Rezensent, dass die Texte jeweils auf Niedersorbisch oder Deutsch abgedruckt sind und dass erstere, acht von achtzehn, einem kleineren exklusiven Leserkreis vorbehalten bleiben müssen.

Christin Klugojc und Tobias Geis (beide Jahrgang 1986!) erzählen unbekümmert, wie Christin träumt, sie müsse an ihrem 25. Ge-burtstag zu Ehren Erich Honeckers sterben. Die Groteske macht sich ihren galligen Spaß auf permanente politische Schlammwürfe, die offensichtlich auch Jugendlichen, in deren Klassenräumen der Staatsratsvorsitzende nicht mehr von der Wand geschaut hatte, auf den Keks gehen.

»Das Einhorn und die Wölfe« (Heinz Richter) ist eine leichtfüßige Persiflage auf das Wertschöpfungsgefasel der Konzerne, die in der Lausitz mit Kohle Kohle machen und behaupten, ohne sie würden die Lichter ausgehn. Der PR-Mann eines Unternehmens will den Fund eines Einhorns tertiären Alters (Unicornis lusaticus) in den Dienst seiner Propaganda stellen und wird von der wendischen »Mittagsfrau«, die aus einer unsichtbaren, viel reicheren mythischen Welt kommt, auf den eigentlichen Grund der Landschaft geführt. Doch die literarische Erkundung verschütteter Idealismen stößt auch auf Grenzen, an denen schreibende Kundschafter mit dem Vorwurf rechnen müssen, vermeintlichen - also doch hinterwäldlerischen - Werten nachzugehen.

Der Glaube an seelische Mächte und Geister, den man Animismus nennt, scheint in Beate Mitzscherlichs im Spreewald spielenden und makellos erzählten Krimi-Torso »Liebeszauber« eine Motivrolle zu haben. Doch der Leser wird mit dem Versprechen allein gelassen, dass es im Weitergang der Geschichte um Sex und Geld gehen wird, also sehr zeitnahe Belange. Ist es Niedertracht, vom Krimi nur den Anfang von etwas zu liefern oder wendische Bauernschläue sorbischer Editorinnen, Neugier auf die nächste »Blumenlese« moderner sorbischer Prosa zu wecken?

Pod kšywon nakósnym - Im Land Egal. Anthologie neuer niedersorbischer Prosa. Herausgegeben von Ingrid Hustädt. Domowina Verlag. 180 S., geb., 12,80 €.

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