Totes Rennen der Ideologien

  • Robert Kurz
  • Lesedauer: 3 Min.

In der ökonomischen Ideologie des Westens schienen sich lange Zeit zwei Lager gegenüberzustehen: das neoliberale oder marktradikale der USA und das keynesianische oder sozialstaatliche Europas. Die Marktideologen setzten auf Angebotspolitik (Kostensenkung um jeden Preis, auch bei Löhnen), die Staatsideologen auf Nachfragepolitik (Steigerung des Konsums durch Ausgaben der öffentlichen Hand und höhere Löhne). Vor 30 Jahren galt das europäische Modell als erledigt, weil gesteigerter Staatskonsum die Inflation entfesselte und das Wachstum trotzdem stagnierte (Stagflation). Der Zusammenbruch des Staatssozialismus schien die Einschätzung zu bestätigen. So trat das US-Konzept seinen globalen Siegeszug an.

Der »Erfolg« der neoliberalen Revolution bestand bekanntlich in der Kreation beispielloser Finanzblasen, die für mehr als ein Jahrzehnt globale Defizitkonjunkturen befeuerten. Als der Finanzkrach 2008 diese Ära beendete, war der Katzenjammer groß. Die europäischen Regierungen, allen voran die deutsche große Koalition, gefielen sich in Schuldzuschreibungen an die USA und die neoliberale Dok-trin, als hätten sie diese Politik nicht selber durchgepaukt. Zeitweise schien es so, als gäbe es nun beiderseits des Atlantiks mit staatlichen Rettungspaketen und Konjunkturprogrammen eine Kehrtwende zum europäischen Modell. Aber schnell zeigten sich die Grenzen der Staatsfinanzierung in Form von Schuldenkrisen. Der alte Zwist kocht jetzt mit vertauschten Rollen wieder hoch: Vordergründig setzen die USA auf staatliche Stimulation, Europa unter Führung von Angela Merkel dagegen auf brutale Sparprogramme.

Aber in Wahrheit gibt es kein eindeutiges Modell mehr, sondern beide Seiten versuchen, sich durchzumogeln. Hüben wie drüben jagt ein Sparprogramm für den Staatshaushalt das nächste. Andererseits betreiben in den USA wie in Europa die Notenbanken eine Politik der Geldschwemme. Staaten sollen sparen, Unternehmen sollen investieren. Aber die mit billigem Geld gefütterten Banken geben kaum Kredite, sondern bunkern das Geld bei den Notenbanken. Umgekehrt fragen Unternehmen Kredite gar nicht nach, sondern betreiben weiter radikal Kostensenkung. Nichts geht ohne Staatskonsum, der aber gleichzeitig heruntergefahren werden muss. Zwar kaufen die Notenbanken Staatsanleihen, aber nicht für reale Nachfrage, sondern nur, um den Wertverfall der Papiere aufzuhalten und die darauf sitzenden Banken zu retten.

Die Mogelpolitik führt zu einer verschärften Version der Stagflation, aber dabei wird es nicht bleiben. Momentan scheinen die USA den inflationären Weg und Merkel-Europa den rezessiven Weg des finanziellen Notstandsterrors zu favorisieren. Sollte ein Präsident Mitt Romney die Kehrtwende vollziehen, müsste er sein angeblich uramerikanisches Konzept von den als »sozialistisch« geschmähten Europäern übernehmen; das Gleiche gilt für die EU bei einem Einschwenken auf die Obama-Politik. Gehen wird beides nicht. Wer das Finanzsystem retten will, muss die Nachfrage verhungern lassen; wer die Nachfrage retten will, muss das Finanzsystem ruinieren. Die widersprüchliche Mischung der beiden Wirtschaftsmodelle als Resultat ihres toten Rennens zeigt, dass die gemeinsamen kapitalistischen Grundlagen bröckeln.

In der wöchentlichen nd-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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