Vom Mittelstand ins Prekariat

»Eine flexible Frau« von Tatjana Turanskyi jetzt auf DVD

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf freiem Feld ...
Auf freiem Feld ...

Eine Frau wankt durch ein Stoppelfeld, ihre Stöckelschuhe hat sie ausgezogen, im Hintergrund Neubauten: Town-houses für den saturierten Mittelstand. Sie hat getrunken, es ist ihr vierzigster Geburtstag. Das Feld liegt am Stadtrand von Berlin. Die Frau, Greta M. (Mira Partecke), muss viel wegstecken. Sie ist seit Jahren arbeitslos. Zuvor hat sie in einem großen Büro gearbeitet. Seit dort alle freien Mitarbeiter entlassen wurden, bekam sie keine neue Arbeit als Architektin mehr.

Auf einer Party trifft sie Studien- und Arbeitskollegen von früher. Die Stimmung ist ausgelassen, Smalltalk über die neuesten Projekte, das Eigenheim, die Kinder. Das ist doch schön, wenn du nicht arbeitest und Zeit für Lukas hast, bekommt Greta zur Antwort, als sie von ihrer Situation erzählt. Aber ich habe niemanden, der für mich den Part des Versorgers übernimmt, erwidert Greta. Sie hat sich vom Vater ihres 12-jährigen Sohnes getrennt. Wir sollten uns unbedingt mal wieder verabreden, bekommt sie darauf als unverbindliche Floskel zu hören.

Ihr Gegenüber Marlene (Michaela Benn) hatte sich in der Runde über ihr Glück als teilzeitarbeitende vierfache Mutter an der Seite eines erfolgreichen Architekten ausgelassen. Aber Greta, die doch mit Umarmung begrüßt worden war, bleibt mit ihren Problemen außen vor. Sie stört mit ihrer Erfolglosigkeit. Tatjana Turanskyi hat das bitter und treffend in Szene gesetzt, schafft Bilder, vermittelt Abläufe: über das Gefühl des Scheiterns als vom Arbeitsmarkt Ausgestoßene, über das Unverständnis und die subtilen Mechanismen der Distanzierung seitens der sich als erfolgreich im Arbeitsleben verstehenden Bekannten. Bis hin zu einem Tiefpunkt, vor dem arbeitslose Eltern einen Horror haben: Sohn Lukas (Mattis Hausig) sagt der Mutter ins Gesicht, er wolle nichts »mit Losern« zu tun haben und deshalb lieber zu einem Freund als zu ihr. Lukas lebt die meiste Zeit bei seinem Vater, aber die Gemeinsamkeit mit ihm ist Greta wichtig. Vor den Kopf gestoßen bleibt sie zurück, während Lukas mit seinem Fußballfreund abzieht. Greta gibt ihrem Ex Paul (Horst Markgraf) die Schuld, schreit ihn später verzweifelt, angetrunken, im Beisein von Lukas an: Loser! Das hat er von dir!

Tatjana Turanskyj zeigt auf beklemmende Weise, wie nah in der zunehmend weniger sozial abgesicherten Arbeitswelt die Rolltreppe abwärts auch dem freiberuflichen Erfolg ist. Beinahe gespenstisch, dass es keine Regularien gibt, die hier für Ausgleich sorgen. Man hat Mitgefühl mit Greta. Sie wird nicht von oben herab als Sozialfall inszeniert, sondern als eine eigenständige Singlefrau, die sich der Marktmechanismen bewusst ist, die sie unter die Räder bringen. Der einzige greifbare Job für sie ist Outbound: Im Callcenter Unbekannte anrufen, zu versuchen, ihnen etwas aufzuschwatzen, in ihrem Fall sinnigerweise Fertighäuser. Und dabei immer von innen heraus lächeln ...

Turanskyj zeigt die Entsolidarisierung in der Mittelschicht, die Konkurrenz bis zum Offenbarungseid: Gretas Freunde feiern und plaudern gerne mal mit ihr, aber als sie fragt, ob sie nicht mit ihnen arbeiten kann, bekommt sie auch nur Bekanntes: Absagen. Man ist geschäftstüchtig, selbst in der Kneipe. Alles ist Projekt, alles potenziell verwertbar, nur Greta nicht. Sie ist draußen. Obwohl sie so viele gute Ideen hat für eine Architektur, die nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, sondern auf beste Lebensqualität. Ihre Architekturrecherche durch das protzige modernisierte Berlin der Macht (Bundesfinanzministerium) und des besserverdienenden Mittelstandes (Townhouses und Privatstraßen) hatte es bewiesen. - Der Film endet dort, wo er angefangen hat: auf dem Stoppelfeld. Nur hier, auf dem Brachland, ist noch Raum für Greta.

Eine flexible Frau, Deutschland 2010; Regie & Buch: Tatjana Turanskyj; mit Mira Partecke u.a.; 97 Min. Die DVD kostet 16,90 Euro und ist erschienen bei Filmgalerie 451. Filmblog: eineflexiblefrau.wordpress.com/

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal