Aufschreiben heißt dazulernen.« So das Resümee von Ali Womacka, wenn er an jenen Sommer Mitte der 80er Jahre zurückdenkt. Damals war er mit einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen aus einem Dorf nahe Leipzig nach Dranske auf die Insel Rügen gefahren. Doch was als erholsamer Aufenthalt geplant war, hatte ein schlimmes Ende genommen ...
Gunter Preuß (1940 geboren) hat in der DDR und auch später noch als Jugendbuchautor Erfolge gefeiert - »Julia« (1976), »Feen sterben nicht« (1985), »Stein in meiner Faust« (1995). In den letzten Jahren veröffentlichte er zudem Essays, Aufsätze und Interviews (»Rufe in die Wüste«, 2009) sowie einige Aphorismenbände. Nun erscheint von ihm ein neuer Roman: »Die Gewalt des Sommers« reflektiert den beginnenden Zerfall der DDR.
Im Mittelpunkt steht der 13-jährige Boris Abendroth, der hin und hergerissen ist zwischen anerzogenem Gehorsam und dem Verlangen nach Freiheit. Ohnehin steckt er in tiefen Konflikten. Sein Vater hatte vorher die Republik verlassen, seine Mutter, die eine wichtige Funktion im Parteiapparat einnahm, war aufmüpfig geworden und in der Haft - auf welche Weise auch immer - zu Tode gekommen. Boris war deswegen in einem Heim gelandet, später von seinen Großeltern in jenes Dorf geholt worden. Der Junge blieb ein verschlossener Einzelgänger.
Ali Womacka, verhinderter Boxchampion, will Boris Durchsetzungskraft lehren, indem er ihm immer wieder Hemingways Figur Santiago aus »Der alte Mann und das Meer« als Vorbild präsentiert. Doch was nützt das, wenn Boris ständig am Verlust seiner Mutter leidet, deren Gesicht ihm kaum noch klar vor Augen steht. Und wie soll er sich gegen seinen Widersacher Kalinke durchsetzen, der ebenfalls das sonderbare Mädchen Ulli liebt. Es kommt deswegen ständig zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen beiden Jungen.
Und da ist noch der schwabbelige Freund Ralle, von allen anderen verspottet, der sich für Boris als wahrer Kumpan erweist. Als gegen Ende des Aufenthaltes an der Ostsee alles zerfließt, die Freundschaften in Frage gestellt werden und Ali ebenso wie der vormals dogmatisch agierende Lehrer Standke die Zügel schleifen lässt, geht Boris auf den lange gehegten Plan Ralles ein. Die beiden schwimmen hinaus auf See. Einer konnte nur noch tot geborgen werden ...
Der Epilog, ein Kommentar des Geschehens durch den vormaligen Pionierleiter Ali, bebildert Stationen seines zerrissenen Lebens, nachdem die Grenzzäune gefallen waren. Seine Suche nach Freiheit scheint noch heute ungebrochen zu sein. Aber er fand das Ersehnte nicht, kam eigentlich nirgendwo an; die Freude am Leben hat sich bei dem nunmehr über 50-Jährigen immer noch nicht eingestellt.
Das Buch fasziniert durch seine poetische Dichte. Die tiefgründigen und originellen Dialoge zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen erreichen mitunter philosophische Dimensionen.
Gunter Preuß: Die Gewalt des Sommers. Lychatz Verlag Leipzig. 342 S., geb., 19,89 €.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/217919.zwei-schwammen-aufs-meer.html