nd-aktuell.de / 18.02.2012 / Kultur / Seite 24

Mein Tagebuch (9)

Retrospektive

Günter Agde

Eine große Entdeckung der Retrospektive sind die Animationsfilme des Studios: eigene kurze Zeichen- und Modelltrickfilme, die allesamt noch nicht in Deutschland gezeigt wurden. Verblüffend auch der vielgestaltige Einsatz von animierten Szenen in anderen Filmen.

»Proryw« (Rückstand, 1930, Kuleschow) Ein Pamphlet gegen Arbeitsbummelei und ein Loblied auf Stoßarbeiter: jeder Rückstand muss aufgeholt werden! Auch dieser kleine Agitfilm selbst entstand in Rekordzeit, wie der Vorspann verschmitzt verkündet. Eine Fingerübung des Meisterregisseurs, mal holzschnittartig, mal mit Augenzwinkern und überraschenden Metaphern.

»Sorok serdez« (Vierzig Herzen, Kuleschow, 1931) Ein Auftrag an das Studio, mit einem Film die Elektrifizierung des Landes zu popularisieren. Vierzig Kraftwerke sollten gebaut werden, eine gewaltige Aufgabe. Und Kuleschow und sein Team entfachten einen lebhaften Film-Wirbel voller verblüffender Animationen: Zeichen- und Modelltricks, Realszenen, Schriftgestaltungen. Jedes Kraftwerk ein lebendiges Herz - mit diesem Grundeinfall ließ sich wunderbar spielen und fabulieren. Und das Studio ließ keine Möglichkeit der damaligen Formensprache des Trickfilms aus. - Die Firma hatte schon früh die Chancen des Trickfilms für seine Produktion erkannt und eine eigene, große Werkstatt eingerichtet. Da seinerzeit die Disney-Filme in der Sowjetunion noch nicht bekannt waren, mussten die Trickfilmer alles selbst erfinden. Dank ihrer Ausbildung als bildende Künstler konnten sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Auch Witz und Humor kamen nicht zu kurz.

»Grosny Wawila i tjotka Arina« (Der schreckliche Wawila und Tante Arina, 1928, Nikolai Chodatajew und Olga Chodatajewa) Spiel mit allen Klischees aus dem Dorfalltag, mit Figuren russischer Folklore. Die Frauen setzen durch, den internationalen Frauentag mit einer Versammlung zu feiern - und die Männer schreien nach ihrem Mittagessen. Ein temporeicher Filmspaß mit tieferer Bedeutung.

● »Proryw« Samstag, 18.2., 11.30 Uhr Cinemaxx 8

● »Sorok serdez« Samstag, 18.2., 11.30 Uhr Cinemaxx 8

● Ein komplettes Paket mit weiteren sechs Animationsfilmen Sonntag, 19.2., 11.30 Uhr Cinemaxx 8

Ein Nachtrag in eigener Sache: Die erste deutsche Monografie über Meschrabpom-Film, über Geschichte und Ästhetik des Studios, bietet der Sammelband »Die rote Traumfabrik« mit Aufsätzen Moskauer und deutscher Filmhistoriker, zahlreichen Abbildungen und einer kompletten Filmografie, Verlag Bertz+Fischer, Berlin