nd-aktuell.de / 22.02.2012 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 16

Zu wenig Zahlen, zu viele Diagnosen

Nationaler Krebsplan soll die Qualität der Früherkennung und der Therapien verbessern

Ulrike Henning
Ab heute findet in Berlin der 30. Deutsche Krebskongress statt. Eines der Schwerpunktthemen ist die weitere Arbeit am Nationalen Krebsplan, der 2008 initiiert worden war.

470 000 Menschen sind 2008 neu an Krebs erkrankt - das sind die aktuellsten Zahlen, die das Zentrum für Krebsregisterdaten jetzt berechnet hat. Das sind ungefähr 80 000 Menschen mehr als zehn Jahre zuvor. Für 2012 wird die Zahl der Neuerkrankungen auf 490 000 geschätzt, das ist wiederum ein Anstieg.

Auch bei den Todesfällen ist eine Zunahme zu verzeichnen: 1980 starb jeder fünfte an einer Krebserkrankung, heute ist es schon jeder vierte. Dennoch gibt es auch Erfolge in der Onkologie, der Lehre von den Geschwulstkrankheiten: Stärker als die Zahl der Neuerkrankungen steigt die Zahl der Patienten, die mit Krebs leben. Zur Zeit sind das etwa 1,4 Millionen Menschen, deren Diagnose nicht länger als fünf Jahre zurückliegt. Diese sogenannten Langzeitüberlebenden erhalten jetzt wachsende medizinische Aufmerksamkeit. Bisher sind die Spätfolgen der Tumorbehandlung wenig erforscht. Chemo- und Strahlentherapie bekämpfen nicht nur den Krebs, sondern hinterlassen auch unerwünschte Spuren bei den Patienten. Zu diesen zählen das Fatigue-Syndrom mit allgemeiner Schwäche und Leistungsminderung, aber auch Nervenschädigungen, Herzprobleme oder hormonelle Beschwerden. Für das Weiterleben nach einer Krebstherapie wird folglich ein gesunder Lebensstil - von der psychischen Bewältigung der Krankheit bis zu Sport und Bewegung - immer wichtiger. Entsprechende Hilfs- und Beratungsangebote gehören zu einem der vier großen Handlungsfelder des Nationalen Krebsplanes, an dem seit 2009 eher im Verborgenen gearbeitet wurde.

Der aktuelle Kongress trägt zur Stärkung der Patientenorientierung ganz praktisch durch einen Aktionstag an diesem Sonnabend bei. Auf dem erhalten Interessierte im Berliner ICC von 9.30 bis 17 Uhr Antworten auf Fragen zu Krebs und seiner Vermeidung.

Mehr als 5000 Mediziner werden sich auf dem Kongress, der alle zwei Jahre stattfindet, ausführlich mit den Anforderungen aus dem Nationalen Krebsplan beschäftigen. Neben der Patientenorientierung stehen die Entwicklung der Früherkennung, der Versorgungsstrukturen und die Qualitätssicherung bei den Therapien auf der Tagesordnung. Seitens der Politik sind Gesetze zur Früherkennung und zur Einführung eines flächendeckenden Krebsregisters noch in dieser Legislaturperiode angekündigt. Ein solches Register könnte die Verfeinerung der Screenings unterstützen. Bisher gebe es bei diesen Reihenuntersuchungen, unter anderem für Brustkrebs und das Prostatakarzinom, eine zu hohe Rate von Überdiagnosen und Übertherapien, so Kongresspräsident Peter Albers. »Wir sollten in Zukunft intelligenter, weniger dogmatisch und politisch an die Früherkennung herangehen«, fordert der Düsseldorfer Urologe. Das könnte dadurch geschehen, dass man sich mehr auf bestimmte Risikogruppen konzentriere und diese häufiger untersuche, die Gesünderen entsprechend weniger. Albers forderte eine konsequente Nutzenbewertung der Früherkennungsverfahren.

Bei der Zulassung innovativer Arzneimittel fehlen auch in der Onkologie in der Regel zuverlässige Daten, ob der Wirkstoff auch bei Patienten mit Begleiterkrankungen einsetzbar ist. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, fordert, die Lücken im Interesse dieser großen Patientengruppe zu schließen. So sollte ein unabhängiges Gremium unmittelbar nach der Medikamentenzulassung den klinischen Forschungsbedarf definieren und innerhalb von zwei bis drei Jahren herstellerunabhängige Studien durchführen lassen.