nd-aktuell.de / 23.02.2012 / Kultur / Seite 17

Ein Kandidat sein für Verantwortung

Herbert Schnädelbach hat ein Lehrbuch für mündige Menschen verfasst

Harald Loch

Philosophie hat im bildungsbürgerlichen Mittelstand Konjunktur und nimmt heute etwa die Bedeutung ein, die vor 100 Jahren die Hausmusik hatte. Das wachsende »Bedürfnis nach gedanklicher Orientierung im Bereich der Grundsätze unseres Denkens, Erkennens und Handelns« drückt sich in verstärkter Nachfrage und in vielfältigen Angeboten zu philosophischer Freizeitbeschäftigung aus. Dabei werden durchaus respektable Niveaus erreicht. Hiermit nicht zu verwechseln sei allerdings das Interesse an der Philosophie als einem etablierten wissenschaftlichen Fach, warnt Herbert Schnädelbach in seiner - fast - allgemeinverständlichen Beschreibung dessen, was Philosophen wissen.

Der emeritierte Professor hat an den Universitäten in Frankfurt am Main und Hamburg sowie an der Humboldt-Universität zu Berlin Philosophie gelehrt. Anhand von 14 philosophisch relevanten Themen demonstriert er, was in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Philosophie als verbindlich gilt, was als gesicherte Erkenntnis angesehen werden kann.

In jedem Kapitel geht der Autor historisch vor und beschreibt den Prozess fortschreitender Erkenntnis als kritische Auseinandersetzung, gegebenenfalls auch Widerlegung früher einmal als gesichert geltenden philosophischen Wissens. Fast immer nimmt seine Demonstration das antike Griechenland als Ausgangspunkt. Schnädelbach benennt die wichtigsten Texte, die danach die philosophische Welt verändert haben: »In der Neuzeit gilt dies für René Descartes' Meditationen (1641), John Lockes Versuch über den menschlichen Verstand (1690), Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft (1781), Ludwig Wittgensteins Tractatus Logico-Philosophicus (1921) und Heideggers Sein und Zeit (1927) … sie haben jeweils das Bisherige gründlich in Frage gestellt und einen radikalen Neuanfang des Philosophierens versucht.« Am Ende eines jeden Kapitels informiert der Autor über den gegenwärtigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis in der Philosophie.

Manchmal ist von einem die Philosophen über Jahrhunderte bewegenden Thema nicht viel übrig geblieben. Mit gedanklicher Eleganz reduziert Schnädelbach im Kapitel »Das Ich und ich« - ausgehend vom »Ego cogito, ergo sum« des Descartes - die drei Buchstaben auf nicht viel mehr als das Personalpronomen, bar aller philosophischen Bedeutungsschwere. In anderen der vom Autor souverän entfalteten Themen, wie etwa bei »Selbstbewusstsein«, verläuft der Weg umgekehrt, zu einem komplizierteren Wissensstand. Bei aller Abgrenzung der wissenschaftlichen Philosophie von ihrer trivialen Schwester für den Hausgebrauch stellt der Autor sein Fach doch nicht außerhalb eines übergeordneten Gesamtzusammenhangs. Wenn er zum Thema »Handlung« die Bedeutung der menschlichen Willensfreiheit auch im Lichte der neuesten Erkenntnis der Neurophysiologie diskutiert, konstatiert er beispielsweise: »Personsein bedeutet, ein Kandidat zu sein für Verantwortung, Lob und Tadel, Verdienst und Schuld.« Er schließt dieses Kapitel mit der für alle Philosophie geltenden Einordnung: »Die Unterstellung der Fähigkeit des ›überlegten Strebens nach dem, was in unserer Macht steht‹, ist fehlbar, aber sie ist die Grundlage unserer wechselseitigen Anerkennung als mündige Menschen.«

Herbert Schnädelbach: Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann. C.H. Beck, München. 237 S., geb., 19,95 €.