nd-aktuell.de / 23.02.2012 / Politik / Seite 1

Gier nach Kontendaten

Behörden wenden Abfragemöglichkeiten extensiv an - Nutzen nicht erwiesen

René Heilig
Im vergangenen Jahr hat das Bundesamt für Finanzdienstleistungen (BaFin) 116 908 Mal die Daten von insgesamt 1 050 726 Konten abgerufen. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) griff 62 333 mal auf Privatkonten zu. Die Schnüffelei im Auftrag von Polizei, Staatsanwaltschaften, Finanz- und Zollbehörden erfolgt automatisiert und heimlich.
Kontoauszüge holen sich nicht nur die Konteninhaber.
Kontoauszüge holen sich nicht nur die Konteninhaber.

Seit dem 1. April 2005 ist es Finanz- und Sicherheitsbehörden sowie Sozial- und Finanzämtern, aber auch Familienkassen, Arbeitsagenturen und »sonstigen Bedarfsträgern« möglich, Kontostammdaten von Bürgerinnen und Bürgern abzurufen. Automatisch. Alle deutschen Banken und Sparkassen sind verpflichtet, diese Informationen in einer Datenbank abrufbereit zu hinterlegen.

Verkauft wird die staatliche Neugier stets mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Ziel ist die Erziehung der Bürger zu mehr Steuerehrlichkeit; man will Sozialleistungsmissbrauch und Wirtschaftsverbrechen eindämmen. Der Zweck wird laut Aussage der Bundesregierung erfüllt. Woher diese Gewissheit?

Der Bundestagsabgeordnete Jan Korte (Linksfraktion) wollte Genaueres wissen. Obwohl es laut der Antwort des Bundesfinanzministeriums, die »nd« vorliegt, so gut wie keine aussagefähigen Statistiken gibt, ist nur sicher: Von Jahr zu Jahr werden die gesetzlich erlaubten Abfragemöglichkeiten extensiver genutzt.

Die Anzahl der Kontenabrufe durch die BaFin stieg seit 2005 um 87,3 Prozent auf 116 908, bestätigt die Bundesregierung. Die Abrufe der BZSt wuchsen von knapp 8700 im Jahr 2005 auf über 62 000. Allein im ersten Monat dieses Jahres sind 5472 verzeichnet.

Vor allem die Polizei fordert Kontodaten an. Deren Interesse hat sich seit 2005 von 38 675 auf 69 330 Abrufe 2011 fast verdoppelt. Im Neugier-Ranking belegen die Staatsanwaltschaften mit 25 997 Abfragen im Jahr 2011 Platz zwei, gefolgt von Finanzbehörden (13 122) und dem Zoll (7316).

»Diesem ungehemmten Zuwachs muss der Gesetzgeber dringend Einhalt gebieten«, forderte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar bereits mehrfach. Denn nicht nur Besserverdiener, auch Bezieher von Sozialhilfe, Wohngeld, Erziehungsgeld, Unterhaltssicherung oder BAföG geraten in das Kontrollraster. Wie viele Bürger insgesamt ausgeforscht werden, wird nicht erfasst.

In einer bereits im Jahr 2009 durchgeführten Umfrage behaupten Ermittlungsbehörden, dass die Abfragen »hilfreich« waren und »in erheblicher Weise zur Sicherstellung von Vermögenswerten beigetragen haben«.

Das ist durch nichts belegt, denn der Regierung »liegen keine statistischen Informationen darüber vor, welche und wie viele Straftaten bislang durch automatisierte Kontenabrufe aufgedeckt wurden«. Die Kriminalitätsstatistik 2010 zeigt sogar Zunahmen bei hier relevanten Delikten. Dass die Methode - wie seit Einführung behauptet - unabdingbar ist zur Bekämpfung von Terrorismus, darf bezweifelt werden. Denn für Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und Militärischen Abschirmdienst wurden »bislang noch keine Kontenabrufe durchgeführt«.

Jan Korte verlangt, dass Kontenabfragen nur bei tatsächlichen Anhaltspunkten für erhebliche Straftaten vorgenommen werden dürfen. Statt dessen, so Korte gegenüber »nd«, sei geschehen, was Bürgerrechtler und Datenschützer von Anfang an befürchtet hatten: »Das Instrument der Kontenabfrage ist völlig aus dem Ruder gelaufen.«